Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Weihnachtsbotschaft von unten

Neulich wirft Freund Walter in eine traute Runde: „Mal unter uns: Habt ihr euer Geld noch, oder ist es verbrannt?“ Über die bis dahin offenherzige Unterhaltung legt sich Verkrampfung. Das Thema scheint gar zu intim. Man kehrt lieber rasch zurück zu Glaubensfragen, zu Sexualvorlieben vor dem Frühstück und Aspekten des Magen-Darm-Geschäfts hinterher. Doch Walter legt nach: „Was wird euch denn die neue Abgeltungssteuer kosten?“ Und: „Wie trifft euch das neue Erbrecht?“ Betretenes Schweigen als der Frager die anhebende allgemeinpolitische Diskussion unterbricht: „Ich will nicht wissen, was ihr davon haltet, sondern in welchem Maß ihr betroffen seid.“

Das geht zu weit, wäre ein Offenbarungseid. Allein der Freund lässt die Hosen runter: „Der Finanztumult hat mich vorerst keinen Heller gekostet, die Abgeltungssteuer geht mir am Arsch vorbei und das neue Erbrecht ist mir wurscht.“ Maulaffenfeil im Rund. Walters nachgeschobener Grund: „Ich verdiene im Jahr brutto nicht mal ein Viertel jener 150 000 Euro, die sich Herr Mehdorn diesmal als Gehaltserhöhung draufsattelt. Wovon hätte ich Aktien kaufen sollen, was in Fonds anlegen, womit spekulieren?“ Er rechnet vor: Um den Steuerfreibetrag bei Sparzinsen zu überschreiten, müsste er, der Unverheiratete, ständig mehr als 20 000 Euro auf der Bank liegen haben. Um im Erbfall zur Kasse gebeten zu werden, müsste sein alter Herr ihm über 400 000 Euro vermachen. „Wovon wird da eigentlich geredet? Das sind für unsereins Beträge wie vom andern Stern!“

Mit „unsereins“ meint Walter jenes Drittel der Bevölkerung, dass über fürsorgliche Mahnungen zur zusätzlichen Privat-Altersvorsorge nur lachen kann. Wo nichts übrig ist, Herr Jesus Christ … Dabei heißt es, die Deutschen hätten Hunderte Milliarden auf dem Sparbuch, würden nochmal so viele demnächst erben?! Mag sein. Aber welche Deutschen? Die Durchschnittsrechnerei macht keinen Unterschied: Etwa zwischen wohlhabenden Mittelrheinern (die soll’s geben) und solchen, die als Leiharbeiter an ein hiesiges Großunternehmen billig ausgeliehen werden – von einer Leiharbeitsfirma, die das Unternehmen selbst in die Welt gesetzt hat, bestückt mit nach der Lehre in eben diesem Unternehmen nicht übernommenen Ex-Azubis.

Worüber reden wir eigentlich?! Wäre Walter etwas älter, er könnte seinen Zwischenruf mit Klaus Staeks satirischem Klassiker von 1972 verdeutlichen: „Deutsche Arbeiter, die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen.“ Den Spruch verstanden damals auch nur die Angesprochenen selbst sofort: Wieso, welche Villen? Was heute zu ergänzen wäre um die Frage: Welche SPD? An dieser Stelle würde aus besagter Tischrunde sicher entgegengehalten: Banales Bildnis, das die Vielschichtigkeit heutiger Globalverflechtungen, die Wechselwirkungen zwischen Finanz- und Realwirtschaft, die Bonität, die Variabilität, die Komplexität und andere Tätärätätäten nicht berücksichtigt.

Am Ende wär’s wie beim Streit um den Zentralplatz zu Koblenz: Der gemeine Koblenzer weiß längst nicht mehr, wer hier was, wo, wie, warum will oder nicht – und vor allem wann. Er versteht nur noch Bahnhof, und dass es zur Buga womöglich doch keinen neuen gibt, weil die Kosten – erwartungsgemäß – um ein paar Millionen höher liegen als geplant. Schuld sollen sein der Chinese, der Stahlpreis, die Finanzkrise, Mehdorn. Alles normal, von Insidern schlüssig zu begründen, wie das Fällen von Bäumen zwecks Begrünung der Bundesgartenstadt  auch. Natürlich sind Walter und das von Geldanlagen freie Gesellschaftsdrittel (vorhin „unsereins“ genannt) viel zu dumm, all die komplexen Zusammenhänge zu begreifen. Was aber, sollten sie dennoch mal die Geduld damit verlieren?

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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