Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Anfassen, umarmen, streicheln, kuscheln, küssen, knutschen …

„Oh, oh, gaaanz dünnes Eis“ meint Walter angesichts der Überschrift. Ne, ne, dies wird kein Frivolitäten-Geschreibsel, sondern eine Abhandlung streng auf wissenschaftlicher Basis. Gleichwohl belegt des Freundes  Bemerkung, dass für nahezu alles Zwischenmenschliche gilt: Eigentlich ist die Sache sehr einfach, zugleich aber fürchterlich kompliziert. Das Allereinfachste über die Bedeutung freundlichen bis liebevollen  Körperkontaktes für den Menschen hat ein Psychologe in die folgende Formel gepackt: „4 Umarmungen täglich braucht man zum Überleben, 8 zum Leben, ab 16 beginnt das Glück.“ Und einer der vielen Medienbeiträge, die sich mit dem Zustand unserer Beziehungskultur befassen, fragte schon im Titel „Sind wir alle unterkuschelt?“. Antwort: Ja, erheblich.  

Ganz einfach scheint also die Erkenntnis: Für unsere Spezies gehört zugewandter Körperkontakt zu den grundlegenden Überlebensnotwendigkeiten. Nein, ich will hier nicht sprechen über das weite Feld des Missbrauchs von Körperlichkeit als Herrschaftsinstrument bis hin zur sexualisierten Anmaßung und Gewalt. Das wäre ein eigenes Thema. Hier geht es einmal um die positiven Potenziale. Der Wissenschaft des späteren 20. Jahrhunderts folgend, gehört inzwischen quasi zum Allgemeinwissen, dass Babys/Kinder ohne körperlich-zärtlichen Zuspruch nicht gut gedeihen. Das liebevolle Halten, Herzen, Umarmen, Streicheln, Küssen der Kleinen durch Eltern, Verwandte, Freunde, Erzieher gilt deshalb hierzulande und heutzutage als positive Normalität. Gleiches verbreitet sich auch im Umgang mit unseren Ältesten, seit sich herumgesprochen hat, dass körperliche Zuwendung oft selbst in tiefe Demenz versunkenen Greisen wohltut.

„Gut, gut,“ meint Walter. „Aber was ist nun mit uns, den drei Generationen dazwischen?“ Tja, im Grunde verhält es sich genauso. Von Natur aus sind die meisten Leute erfüllt von einem Bedürfnis nach freundlicher, angenehmer Körperzuwendung von und zu Menschen, die sie mögen. Genau besehen, besteht unsere zwischenmenschliche Kommunikation ja sowieso nur zum kleineren Teil aus Worten, zum größeren aus Blicken, Gesten, Haltungen und oft eben auch Berührungen. Küsschen, Umarmung, Unterhaken, Händchenhalten etc.: Gerade Jugendliche pflegen, trotz Smartphone und Co., solche Formen noch immer ausgiebig.

Doch auch schon bei ihnen wird’s kompliziert, weil die Körperlichkeit in den geschlechtsreifen Alterklassen sozusagen ihre Unschuld verliert. Denn fast jede Art von Berührung KANN hier auch eine sexuelle Tönung und Zielrichtung annehmen. Was kein Beinbruch ist, wenn jede/r Beteiligte Lust auf diese Spielebene des Turtelns hat. Allerdings schleppen wir ein ungutes puritanisches Erbe mit uns, das fast jedwede Art Berührung zwischen denkbaren Geschlechtspartnern unter den Generalverdacht geiler Absichten stellt. Traurige Folge: Weit verbreitet haben wir oft bis hinein in die engsten Vertrautenkreise, je selbst Paarbeziehungen, die Fähigkeit verloren, unterhalb der Ebene des Sexuellen die urmenschliche Wohltat körperlicher Zuwendung, alltäglicher Zärtlichkeit, auch des Schmusens und Kuschelns zu pflegen und zu genießen.

„Du willst uns jetzt aber nicht den guten alten Sex ausreden?“ fragt ein misstrauischer Walter. Nicht mal im Traum, mein Lieber. Denn die vermeintlich schönste Nebensache des Lebens ist ja in Wahrheit eine unverzichtbare Hauptsache – aber halt nicht die einzige.   

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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