Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Wunderwelt der modernen Technik

Bisweilen werde ich als Technikfeind gescholten. Da liegt ein Missverständnis vor. Auf Waschmaschine und Geschirrspüler, Rasenmäher und Kettensäge, Radio, TV und Computer mag ich nicht mehr verzichten. Denn einige Geräte liefern bessere Ergebnisse als der Handbetrieb. Andere entlasten von stumpfsinnigen Tätigkeiten und schaffen Zeit für Sinnvolleres. Wieder andere versorgen dich mit Information und Unterhaltung oder bieten Kanäle zur Kommunkation.

Walter brummt missmutig: „Machst du jetzt Werbung für Kauf-dich-blöd-Märkte? Wenigstens solltest du auch die Kehrseite der Medaille ansprechen. Computer, Radio, TV spülen ebenso jede Menge Stumpfsinn in Haus und Hirn, können ein Vielfaches der Zeit rauben, die man mittels anderer Maschinen gewinnt.“ Es sei wie bei der Deutschen Bahn, meint der Freund: Was nütze es, wenn modernste ICE-Züge theoretisch eine Stunde weniger von Koblenz nach Berlin brauchen, dann aber zwei Stunden Verspätung haben, man womöglich in irgendeinem zugigen Stadtbahnhof festsitzt, weil es erst am nächsten Tag wieder ein ÖPNV-Verbindung zum Ziel in der Provinz gibt.“

Der berechtigte Einwand erinnert daran, dass neue Technik allein kein Problem löst –  sondern oftmals nur welche zu lösen vorgibt, die es ohne sie gar nicht gegeben hätte. Nehmen wir das Automobil. Inzwischen sind die zuhauf überdimensionierten Verbrennungskraftwerke auf Rädern so zahlreich geworden, dass sie einander im Wege stehen. Folge: Es werden noch mehr Straßen gebaut, diese mit raffinierten Leitsystemen aufgerüstet sowie die Autos selbst mit Techniken versehen, die Stauumgehungswege austüfteln. Ergebnis wiederum davon: Automassen fluten jene Strecken, wo der Verkehr angeblich fließt, bringen ihn rasch auch dort zum Stillstand.

Mit Hinweis auf mein vor einem Jahr erworbenes neues Auto setzt Walter noch einen drauf: „Schon in deiner Kleinkarre haben wir über fünf Dutzend Funktionstasten und ähnlich viele Leuchtanzeigen gefunden – und du weißt bis heute von einem Drittel nicht, wofür sie gut sind.“ Stimmt. Aber schlimmer noch ist: Wo bei den Vorgängermodellen ein paar richtige Druckknöpfe und simple Drehschalter blind bedienbar waren, muss man jetzt hin- und also von der Straße wegschauen, um  Sensortasten und Touchscreen-Funktionen zu nutzen.

Weshalb ich die These von Verkehrswissenschaftlern für unvollständig halte, wonach die Hälfte aller Verkehrsunfälle heute durch Smartphone-Nutzung während des Fahrens verursacht würde. Wahrscheinlich geht ein beträchtlicher Teil der Unfälle auch zurück auf Ablenkungen durch PKW-internes Mäusekino und Hantieren mit vermeintlichen Sicherheits- und Komfortfunktionen. Die Technikreligion zieht daraus allweil die Konsequenz: Noch viel mehr solcher Funktionen einbauen – bis wir am Ende beim automobilen Eisenbahnbetrieb auf der Straße in Form selbstfahrender Fahrzeuge landen.

Ist je jemand gefragt worden, ob er/sie den automatisierten PKW-Verkehr will? Nö, kein Mensch. Industrie und Scheuerpolitik tun einfach so, als sei dies der natürlichste, wunderbarste nächste Technikfortschritt. Dieser Quatsch wird nun scheinwissenschaftlich, medial, werblich ständig wiederholt, bis möglichst viele Leute glauben, das sei ihr eigenes Bedürfnis. So setzt man in Profit verwandelbare Trends. „Alexa, spiel das Lied von den immerwährenden Segnungen des technischen Fortschritts“ – auch wenn es sich lebenspraktisch oft eher um Rückschritt handelt.              

 

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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