Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Sommer in Stadt und Land. Geil!

ape. Freund Walter schüttelt missbilligend den Kopf: „Was soll der Käse mit dem ‚geil‘ in der Überschrift? Du bist doch nicht dazu da, dich als alter Knochen durch Anbiederung an heutige Jugendsprache zur Lachnummer zu machen. Von dir erwarte ich vielmehr, dass du die Schönheit und Vielfalt herkömmlicher Hoch- wie Volkssprache pflegst. Dass du demonstrierst, was damit hinsichtlich sprachästhetischer, sinnlicher, auch giftiger bis witziger Lebendigkeit des Ausdrucks möglich ist – gerade heute, im Zeitalter der digitalen Stotterei.“

Manchmal ist es arg mit dem Kerl. Eben spricht er auf offener Straße mit seinem strahlenden Unschuldslächeln eine wildfremde Frau an, um ihr Komplimente zu machen, wie hübsch sie aussehe in ihrem Sommerkleidchen. Das Irre ist: Statt sich für solche Unverfrorenheit eine Watschen zu fangen, wird sie ihm mit artigem bis überrascht freudigem Liebreiz gedankt. Zwei Minuten später allerdings staucht der Freund mich zusammen, weil ich einer anderen ansehnlichen Erscheinung unauffällig nachblicke. „Das ziemt sich nicht!“, faucht er nach altväterlicher Manier.

Nun gut. Sommer ist und die Sonne scheint, da will ich mit Walter nicht streiten. Zumal solche Schurigelei stets nur mich trifft, während ihn sonst eine schier maßlos toleranter Freigeist auszeichnet. Mädels und Jungs, die in Shorts und Flip-Flops durch die Stadt flanieren oder sich in für teuer Geld zerfetzten Jeans zeigen; reife Damen, die es ihnen umstandslos, aber nicht immer passend, gleich tun; selbst ältere Herrn, die ihren Schmerbauch stolz über der kurzen Hose tragen und die Füße mit stramm hochgezogenen Socken bekleiden: Dem allem begegnet Walter mit dem größten Gleichmut und der Devise „jeder möge die schönste Jahreszeit auf seine Weise genießen“.

Um des lieben Friedens willen also ersetze ich das zeitgenössische „geil“ hiermit durch – ja was? „Wunderbar“, wäre eine Möglichkeit; oder „herrlich“. Doch mangelt es beiden Worten irgendwie an spontan explosiver Keckheit. Und sowieso fehlt ihnen der klammheimlich mitschwingende erotische Subtext der früheren Bedeutung von „geil“. Die hat gerade zur Sommerszeit ja durchaus eine gewisse Berechtigung –  obwohl dann doch etwas zu grobschlächtig daherkommend. Die sonnigen Tage und vor allem die lauen Sommerabende auf Balkonen, Terrassen, in Biergärten und Straßencafés verlangen nach gelassenerem, weicherem Ausdruck.

Was also passt auf den Sommer? Versuchen wir ein paar Anleihen aus Jugendsprachen früherer Zeiten:  „Toll“ oder „tiptop“ oder „famos“ oder „stark“ aus den 50er/60ern sind wohl zu eindimensional und entbehren auch der sinnlichen Komponente. „Knorke“ nach 1920er-Gebrauch kennt kaum noch jemand, klingt auch nach rauer Borke statt nach Zärtlichkeit sich sehnender warmer oder versehentlich sonnengebrannter Haut. „Heiß“ oder „scharf“ im Mehrfachsinn der 1970er bis 1990er könnten vielleicht angehen. Das jüngste Geschwisterchen von „geil“ läge indes völlig daneben: „cool“.

Walter wirft entnervt die Arme in die Höhe: „Hör auf, du übertreibst. Das eine Idealwort wirst du sowieso nicht finden, weil jeder sein Sommerglück auf andere Art erlebt.“ Dann rafft er sich auf vom Campingstuhl an der Feuerstelle seiner Datscha hoch überm Moseltal: „Auf unser Sommerglück werden heute die Worte ‚gemütlich‘, ‚entspannt‘, ‚fröhlich‘ gut passen. Lass uns den Grillrost über die Glut hängen und endlich das Fässchen anstechen.“

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 21. Woche im Mai 2018)

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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