Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Freud‘ und Leid dieser Frühlingszeit („Quergedanken“)

    Monatskolumne Nr. 238, 30. April 2025

 

quergedanken_logo Kennt ihr sie: die „Frühlingsblubbernase“? Ich meine nicht den echten Heuschnupfen, der allergische Mitmenschen malträtiert. Die Rede ist von gewöhnlichen Pollen-Reizungen, die auch Nichtallergiker in den Hochzeiten betörender Blütenpracht heimsuchen können. Da sitzt du behaglich im Städtchen am Freilufttisch, Sonne tankend und die ästhetischen Reize sommermodischer Aus- und Einblicke genießend. Plötzlich steigt dir ein Druck in den Kopf und beginnt der Kampf: Kommt er oder kommt er nicht, der Nieser?

Derweil du umsichtig ein Taschentuch hervorkramst, entfleucht am Nebentisch einem Damennäschen ein dezentes „Hatschi“. Du wünschst nett „Gesundheit“, bekommst lächelnd ein „Danke“ zurück – und zuckst zusammen, weil im selben Augenblick am eigenen Tisch Walters Riechkolben ein „Haaaatschiiii!!“ fortissimo hinausposaunt. Und gleich nochmal und nochmal und nochmal. Was wiederum am Nebentisch und drumherum herzliches Lachen hervorruft.

Im Frühling ist halt doch etwas mehr Leichtigkeit unter de’ Leut’. Selbst Ingo Zamperonis Tagesthemen-Rausschmeißer „Bleiben Sie zuversichtlich“ kommt einem in den Wochen der erwachten Natur ähnlich wohltuend vor wie dereinst Ulrich Wickerts Wunsch für eine „geruhsame Nacht“ – mögen die zuvor vermeldeten Nachrichten auch noch so furchtbar sein. Keine Frage: Die Lage in der großen Welt ist ernst wie lange nicht. Und hier daheim haben wir ein fettes Problem damit, dass ein Viertel unserer Landsleute kein Problem damit hat, einer Partei nachzulaufen, deren Ziele sich kaum von denen unterscheiden, womit Trump und Co. gerade die USA ins Unglück stürzen und die Welt zerrütten.

Walter und ich streiten dieser Tage oft: Muss man von früh bis spät den neuesten Schreckens-News folgen? Oder reichen zweimal 25 Minuten am Tag, und darf, soll, kann man sich auch Zeiten des Abschaltens davon gönnen? Er beharrt auf Ersterem – weil die Gefahr groß ist und man buchstäblich ständig auf dem Laufenden bleiben müsse, um gewappnet zu sein. Ich plädiere für Letzteres – eben weil große Gefahr droht, muss man sich nicht Stund’ um Stund’ verrückter machen lassen. Besser ist’s, die Freiheiten intensiv zu leben, die deren Feinde abschaffen wollen. In Europa und hierzulande ist das weitgehend noch normal. Weshalb ich den Gebrauch und Genuss dieser Freiheiten für einen wichtigen Beitrag zu ihrer Verteidigung halte.

Seht doch allein die Gefilde der Kultur! Die Künste sind frei. Museen zeigen, was sie für sehenswert halten. Theater spielen drinnen und draußen, was und wie sie es wollen. Künstler aus aller Herren Länder geben mit ihren Bands, in unseren Orchestern, Gesangsensembles, Tanzcompagnien ihr Bestes und Spannendes aus vielen Kulturkreisen. Meinungs- und Publikationsfreiheit sind garantiert, wir können schreiben und lesen, was wir wollen. Städte, Dörfer, Vereine, Nachbarschaften künden Frühlingsfeste und Sommerevents zu Hauf an, laden alle Mitbürger zum Mitmachen ein, egal welcher Herkunft, Religion, Hautfarbe. Wissenschaft und Forschung sind frei. Man kann lieben, wen man will; man kann essen und trinken, was man will… Und über alles darf, wer will, auch noch kontrovers diskutieren.

Gewiss, es gibt eine Fülle von Schattenseiten. Wenn wir aber rund um die Uhr bloß noch auf diese starren, gerät aus dem bald verbiesterten Blick, was die Trumps, Putins, Höckes uns tatsächlich nehmen wollen: humanen Anstand und das Leben in Freiheit. Also lasst es uns in vollen Zügen leben!

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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