Monatskolumne Nr. 234, 30. Dezember 2024
Wie reagieren Menschen, wenn sie ständig mit große Krisen konfrontiert sind? Versucht man das derzeitige Durcheinander von Stimmungen aufzudröseln, die über Küchen- und Stammtische, durch Fernsehen und Netzwerke schwappen, lassen sich ganz grob vier Reaktionsweisen dingfest machen. 1. Murren, meckern, düster unken. 2. Möglichst simple Erklärungen für jedwedes Krisenphänomen (er)finden. 3. Nach an allem Elend schuldigen Personen suchen und sich Leuten zuwenden, die Erlösung versprechen.
Doch es gibt da ein Realproblem: Nichts, gar nichts auf der Welt hat je nach einem einfachen Ursache-Wirkungs-Mechanismus funktioniert. Alles, wirklich alles ist komplexer, als man auf einen ersten oder zornigen Blick wahrhaben möchte. So in der Politik, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in menschlichen Beziehungen, ja selbst – oder erst recht – in der Natur. Ist es zu heiß und zu trocken, gehen Pflanzen ein. Das scheint ein simpler Zusammenhang. Aber: Manches Gewächs ist schon nach Tagen hinüber, andere sind es erst nach Wochen, Monaten, Jahren oder gar nicht. Da müssen also noch andere Faktoren im Spiel sein als bloß Hitze und Trockenheit.
Siehe auch Klimawandel: Der ganze Planet wird ständig wärmer, und doch könnte es regional vorübergehend auch kälter werden. Oder siehe Syrien: Da fand eben eine erstaunlich gesittete Revolution statt, die das Assad-System auf den Kehrichthaufen der Geschichte expedierte. Freude! Was aber jetzt kommt in diesem multiethnischen, multireligiösen Land, ist vorerst ungewiss. Sicher ist bloß, dass es kompliziert wird und dass aus dieser Revolution gewiss keine lupenreine Demokratie hervorgeht. Bleibt die Frage: Wird es den Syrern nachher besser gehen?
Wird 2025 besser oder noch schlimmer? Das ist wohl die globale Generalfrage. Nachdem es 2024 mehr ungute Turbulenzen auf der Welt gab als früher in einem ganzen Jahrzehnt, schauen wir eher bang als frohgemut dem neuen Jahr entgegen. Da Trump, dort Putin, hier Bundestagswahl. Wird es besser oder noch schwieriger? Weiß keine/r. Außer den Beteiligten selbst, die wie üblich singen: „(Nur) Mit mir wird es besser.“ Nachher aber stehen sie doch wieder vor komplexen Problemen, für die es keine einfachen Lösungen gibt.
Freund Walter meldet sich zu Wort: „Was ist denn nun mit der vierten Reaktionsweise?“ Kommt jetzt und heißt „leben“. Weil man zu allem Vorgenannten zwar eine Meinung hat, dieses Großeganze aber als Individuum gar nicht oder nur minimalst durch Wahlkreuzchen und persönliches Verhalten beeinflussen kann, tut der Homo normalo, was er immer tat: Sich auf die kleinen Dinge des privaten Umfelds konzentrieren. „Den Kopf in den Sand stecken“, grummelt Walter. Nein, nein, das missverstehst du.
Die Sphäre der privaten Freizeit ist zugleich die der maximalen individuellen Freiheit; jedenfalls hierzulande. Da kannst du nach Gusto Hobbys, Passionen, Gewohnheiten, Lebensstilen frönen – soweit du keinem Mitmenschen schadest. In dieser Sphäre ist man weitgehend Herr oder Herrscherin über die eigenen Geschicke. Selbstwirksamkeit nennt die Psychologie das, und reiht es ein unter die menschlichen Grundbedürfnisse. Doch wehe, das Großeganze greift in diese Freiheitssphäre allzu rigide hinein, etwa in Form von Kulturtotalitarismus oder derart sozialem Elend, dass für Teile der Gesellschaft selbst bescheidene Wünsche nicht mehr erfüllbar sind: Dann kann es sehr ungemütlich werden.