Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Ein donnerndes „Hurra“ auf die Kernfusion! Oder?

Anmerkungen zum aktuellen Hype um ein Laborexperiment in Kalifornien

ape. Gewiss, in Sachen Wissenschaftserkenntnis ist ziemlich interessant, was da kleinexperimentell in einem kalifornischen Labor für ein paar Sekunden funktioniert hat: Kernfusion, die ein bisschen mehr Energie geliefert hat als die gewaltige Menge an Energie, die man zuvor hineinsteckte, um den Fusionsprozess in Gang zu setzten und für einen Moment aufrechtzuerhalten. Bei allen ähnlichen Versuchen in diversen Laboren weltweit über die zurückliegenden 30 bis 40 Jahre war dem Prozess meist schon nach wenigen Millisekunden die Luft ausgegangen und hatte die Energiebilanz am Ende jedesmal tiefrote Zahlen geschrieben.

Kann der Mensch nun im Minimaßstab künstlich schaffen, was die Natur, etwa die Sonne, im Gigamaßstab seit Jahrmilliarden ganz selbstverständlich und perfekt hinkriegt? Genau besehen, weiß das noch niemand. Keiner kann heute sagen, ob in großtechnischem Format sicher, verlässlich, dauerhaft, wirtschaftlich und ohne gewichtige Kollateralschäden für Gemeinwesen und Umwelt überhaupt möglich ist, was im Labor einen Moment lang funktioniert. Es wird noch unzählige Experimente und technische Entwicklungen brauchen, um erstmal eine Antwort auf das „ob“ zu finden. Und eigentlich bräuchte es auch zahllose Untersuchungen, Abwägung und Risikostudien hinsichtlich der mittel- und langfristigen Folgewirkungen einer solchen Technik, die möglicherweise das Potenzial hat, tiefgreifend unsere gesamte Lebensweise zu beeinflussen.

Aber angesichts der grenzenlosen, nachgerade blindwütigen Begeisterung von Öffentlichkeit, Politikern und potenziellen Anlegern über das kalifornische Laborergebnis steht zu befürchten, dass es laufen wird, wie es immer gelaufen ist beim Technik“fortschritt“: Wenn’s funktioniert, wird es sogleich als dicke, fette, stürmische „Alternativlosigkeit“ ins Werk gesetzt – koste es, was es wolle, mit eventuellen Risiken, Gefahren, Schadfolgen können wir uns ja später mal befassen. Jetzt nutzen wir erstmal dieses Ei des Kolumbus, diesen Stein der Weisen, diese Ultima Ratio der Energiesicherheit.

Für die älteren Zeitgenossen ist der schier grenzenlose Jubel, der seit gestern durch die ganze (westliche) Welt brandet, wie ein Déjà-vu. Nur dass es sich in diesem Fall nicht um eine Erinnerungstäuschung handelt, sondern um tatsächliche Erinnerung. „Sichere, saubere, unerschöpfliche Energiequelle – ein Meilenstein für die Menschheitsentwicklung“: Fast wortgleich mit den Hymnen der 50er, 60er, 70er auf die „friedliche Nutzung“ der Kernspaltung in Atomkraftwerke, wird jetzt in maßlosem Enthusiasmus das hohe Lied auf die Kernfusion gesungen. Alsbald könne diese uns aller Energiesorgen entheben, schwärmen manche Kommentatoren – wie schon ihre Vorgänger ein gutes halbes Jahrhundert zuvor mit Blick auf das anbrechende AKW-Zeitalter. Der damalige Enthusiasmus erwies sich bekanntlich als Schuss in den Ofen.

Die aktuellen Hymnen sind um ein paar neue Begriffe erweitert worden. Vorneweg „grün“, „klimaneutral“, „nachhaltig“, „ohne radioaktiven Müll“. Wenn dem so wäre, wäre das eine feine Sache. Aber de facto weiß noch niemand, ob das überhaupt so ist bzw. in großtechnischer Anwendung so käme. Und wann. Und wie. Und zu wessen Profit. Und zu welchem Preis, für wen …. Meine Sorge gilt nicht dieser technischen Entwicklung an sich, erst recht nicht der Forschung daran, sondern dass sie, wie so viele „Fortschritte“, massenhaft zum Einsatz kommt, bevor Risiken und mögliche Nebenwirkungen auch nur ansatzweise hinlänglich erforscht sind.

Meine Sorge gilt ferner dem Umstand, dass diverse Technikgläubige nun mit der Hoffnung auf eine „mittelfristige Ideallösung aller Energieprobleme durch die Fusionstechnik“ sämtliche Anstrengungen für die Energiewende noch mehr als überzogen ansehen, jetzt gar für überholt halten. Doch selbst wenn alle Hoffnungsträume hinsichtlich der Kernfusion sich maximal erfüllen würden und diese Technik binnen 30 bis 50 Jahren reif wäre zur globalen Massenanwendung: Um den Klimawandel in handhabbaren Schranken zu halten, dafür wäre es dann schon viel zu spät.

Und am Ende rumort da noch dieser Gedanke im Hinterkopf: Warum eigentlich sollen wir mit gewaltigen Investitionen und extremem Aufwand eine Technik entwickeln und zum Einsatz bringen, die etwas herstellt, das die Sonne ganz umsonst in unerschöpflichen Mengen liefert? Energie, für deren Ernte wir bereits alle Techniken haben, sie nur sinnvoll zum Einsatz bringen müssten.

Andreas Pecht

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