Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Diabolus ex machina („Quergedanken“)

   Monatskolumne Nr. 243, 26. September 2025

quergedanken_logo „Hey, alter Bildungsfuzzi“, meldet sich Freund Walter angesichts der Überschrift, „das heißt Deus ex machina, der Gott, nicht der Teufel aus der Maschine.“ Klar, mein Lieber, die alten Griechen hatten ihn fürs Theater erfunden: den göttlichen Retter, der mittels Maschine auf die Bühne gehievt wird, um ein verfahrenes Geschehen zum Guten zu wenden. Aber mit solchen Göttern ist das so eine Sache. Denn mit ihnen werden zugleich meist diabolische Geister gerufen, auf die eher Verse aus Goethes „Zauberlehrling“ passen: „O, du Ausgeburt der Hölle! / Soll das ganze Haus ersaufen? (…) Herr, die Not ist groß! / Die ich rief, die Geister / Werd’ ich nun nicht los.“

Es ist ja so, dass der Homo sapiens ganz groß und furchtbar schnell ist im Entdecken, Entwickeln, Erfinden. Derart schnell, dass wir enthusiastisch nützliche oder bequeme oder profitable Neuheiten massenhaft in Gebrauch nehmen, ohne uns ernsthafte Gedanken über womöglich unschöne Folgen zu machen. Für unsere Vorfahren waren nach Faustkeil und Keule etwa Steinaxt und Speerschleuder wunderbare, die Effektivität von Alltagsarbeiten und Jagd enorm steigernde Erfindungen. Erst recht, als deren Steinblätter und -spitzen durch solche aus Bronze, dann aus Eisen ersetzt wurden.

Bald jagten, rodeten, ackerten sie als gäb’s kein Morgen. Doch wie beim allzu trinkfreudigen Wirtshausbesucher, stellte sich hernach der Kater ein: Jagdreviere leergefegt, Wälder verschwunden, manch frühe Hochkultur weggestorben infolge überbordenden Ressourcenverbrauchs für die Erzverhüttung. Und sowieso, typisch homo sapiens: Was bloßes Werkzeug hätte sein können, wurde sogleich fortentwickelt – zur Kriegswaffe. Ähnliche Geschichten ließen sich von Schwarzpulver und Dynamit erzählen, von Radioktivität und Kunstdünger, von Schiffen, Fluggeräten, Weltraumsatelliten etc.

Das Automobil ist eine physikalisch-energetisch zwar nicht sonderlich effektive, doch coole Erfindung, um von hier nach da zu kommen. 45 Millionen Autos hierzulande und bald zwei Milliarden weltweit sind allerdings eine Katastrophe für die Lebenswelten von Mensch, Tier, Pflanze. Anderes Beispiel: das Internet, dieses Wunderding. Was waren wir mal voller Hoffnung auf freien Zugang zum gesamten Wissen der Menschheit, auf gedeihliche Kommunikation zwischen Freunden, diskussionsfreudigen Zeitgenossen und Forschenden rund um den Erdball. Gewiss, das gibt es – am Rande. Doch ausgeträumt ist der Traum vom Internet als Medium der Menschen- und Völkerverständigung. Denn bekommen haben wir den gewaltigsten Buchstaben- und Bildermüllhaufen der Geschichte, zugleich den größten Sammelplatz für Marktschreier, Krawallmacher, Trickbetrüger, Lügner, Hetzer, Waffenschieber, Saboteure, Pädophile … Und auch das Internet ist längst eine Kriegswaffe.

Auf die Zweischneidigkeit der Smartphone- und jetzt auch KI-Kultur aus Nützlichkeit hier, Gefährlichkeit und Verblödungspotenzial da sei nur kurz hingewiesen. Angesichts jüngster diesbezüglicher Forschungen kann einem der Arsch auf Grundeis gehen. „Du willst uns jetzt nicht einreden, wir sollten die Finger ganz vom technischen Fortschritt lassen?“, grummelt Walter. Ach was, das ginge ohnehin nicht, weil der Mensch doch immer alles macht, was er kann. Es wäre schon ein Gewinn, würde man vor lauter Begeisterung über Neues nicht blauäugig oder gleichgültig ignorieren, dass bisweilen fast mehr Diabolus als Deus aus den Maschinen springt.

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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