Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Wie schön: Wir alle sind Bastarde („Quergedanken“)

        Monatskolumne Nr. 225, April 2024

 Holla, spinnst du?“ schimpft Walter mit Blick auf die Überschrift: „Klar ist unsere Spezies als Ganzes ziemlich bekloppt. Deshalb gleich all ihre Individuen so grantig in einen Topf zu schmeißen, scheint mir aber ungerecht.“ Krieg dich wieder ein, mein Freund, das meint die Schlagzeile gar nicht; du missverstehst das Wort Bastard. Die längste Zeit seiner Bedeutungsgeschichte war das die keineswegs ehrenrührige Bezeichnung für in außerehelichem Verkehr gezeugte und anerkannte Kinder. Ein Schimpfwort wurde es erst in jüngerer Zeit. Und in der Naturwissenschaft ist Bastard bloß der etwas ältere Begriff für Hybride, also Vertreter von Flora und Faune (Mensch inklusive), die aus einer geschlechtlichen Fortpflanzung zwischen verschiedenen Arten oder Populationen hervorgegangen sind.

Und Letzteres sind wir samt und sonders – direkte Ergebnisse oder Nachfahren der sexuellen Begegnung zwischen Angehörigen verschiedener Populationen. Weshalb Rassismus nicht nur eine unmenschliche Haltung ist, sondern eine der dümmsten obendrein. Dies gerade heutzutage, seit die Sequenzierung des menschlichen Genoms handfest beweist: Es gibt nur eine einzige menschliche Rasse auf Erden. Genetisch unterscheiden sich schwarze Afrikaner von bleichen Norwegern so wenig voneinander wie die etwas korpulente Herta aus Neuwied von der schlanken Bopparder Carola oder Adenauer von Mao.

Urdeutsche“, gar „reinblütige Deutsche“: Sowas gibt es im Sprachgebrauch von Hakenkreuz-Fans und einigen AfD-Funktionären, aber nicht in der Realität. Ich betreibe zwar keine Ahnenforschung, erinnere mich aber an Familienfeiern meiner Kindheit, als unter den damals noch lebenden Großeltern etwas verschämt die Rede kam auf: tiroler und italienische Herkünfte meiner vermeintlich rein odenwäldischen Vaterlinie; auf kaschubische, gar russische Urgroßeltern meiner ostpreußischen Mutter. Bei Freund Walter haben allein in den letzten drei Generationen Schotten, Spanier, Polen, Algerier zum Familien-Genpool beigesteuert. Zumindest weiß er von denen, wahrscheinlich waren es noch mehr. Und die urmoselanische Familie ohne römische Beigaben muss wohl ebenso erst noch erfunden werden wie die urkoblenzische Schängel-Familie ohne französische Einsprengsel.

Man könnte etwas früher in der Geschichte von den ollen Germanen sprechen, diesen dereinst aus Nordost-Europa nach West gewanderten Migranten-Stämmen, die sich unterwegs und hierorts mit anderen Völkerschaften vermischt haben. Die Vandalen könnte man anführen, denen es auf ihrem Zug vom östlichen Europa über Gallien und Spanien nach Nordafrika auch nicht viel anders erging. Genauer betrachtet ist die Menschheitsgeschichte ein einziger ewiger Prozess von Auswandern, Einwandern, Durchwandern – und also auch der Vermischung.

Das geht zurück bis in die Steinzeit, als es tatsächlich noch zwei oder mehr Menschengattungen gab. Da sind sich Homo sapiens und Homo neandertalensis begegnet und haben, wie die Wissenschaft bewies, was miteinander getan? Richtig, gevögelt und Kinder gezeugt. Dies so nachhaltig, dass jede/r von uns heute noch eine Portion Neandertaler in sich trägt. Wie schön ist das denn! Genauso schön wie der Umstand, dass wir alle unseren gemeinsamen Ursprung in Afrika haben. Freund Walter hebt lachend den Bierkrug: „Herrlich, dann lass uns anstoßen: auf uns Afrikaner, Migranten, Bastarde – Menschen.“ Remigration? Das gäbe ein arges Gedränge in Afrika.

(Übrigens: Ich versichere an Eides statt, dass dieser Text ohne KI-Unterstützung oder -Einflussnahme gänzlich auf meinem eigenen Mist gewachsen ist.)

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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