Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Die unsichtbare Haushaltskraft

ape. Was ist der geheimnisvollste Ort auf Erden? Stonehenge würde einer sagen, Amazonasurwald oder Vatikan ein anderer. Näher dran, könnte die Antwort lauten: die Zentralen von Deutscher Bahn und Telekom, das Kanzleramt oder die Mainzer Staatskanzlei. Gemeinsam ist derartigen Lokalitäten: Dort gehen Dinge vor sich, über die man wenig bis nichts weiß, und deren Wirkungen oft völlig unbegreiflich sind. Nach meiner Erfahrung jedoch gibt es eine Örtlichkeit, die noch geheimnisvoller ist als die genannten – die eigenen vier Wände.

„Du spinnst”, mosert Walter. „In meiner Wohnung treiben weder Chinesen-Gespenster ihr Unwesen noch liegen Spione unterm Lodderbett. Ich bin der Herr im Hause und ohne mein Zutun geschieht gar nichts.” So spricht der Freund – und begibt sich sogleich auf die Suche nach jüngst klammheimlich ausgewanderten oder entführten Hälften zweier Sockenpaare sowie einem Schraubenzieher, der partout nicht dort verweilt, wo Walter ihn mit größter Gewissheit deponiert hat.

Nun wird die verehrte Leserschaft einwenden, solche Missgeschicke widerfahren jedem jederzeit. Erklärt werden sie als Folge simpler Unachtsamkeit, Schusseligkeit, Vergesslichkeit oder schlicht individueller Neigung zu unordentlicher bis chaotischer Lebensführung. Doch so einfach lassen sich die haushalterischen Abstrusitäten nicht abtun. Für mich selbst darf ich einige Ordnungsliebe in Anspruch nehmen. Ich mag es, wenn die Dinge ihren festen Platz in der Wohnung haben und sich auch an selbigem befinden.

Zwar versteht mancher Besucher meine Art der Ordnung kaum, aber dafür kann ja ich nichts. Unangenehm ist indes ähnliche Begriffsstutzigkeit bei meinen Mitbewohnern. Was zur Folge hat, dass allzu viele Dinge allzu oft nicht an ihrem Platze auffindbar sind. Das kann mich sehr ärgerlich machen – und faule Ausreden wie „hast du selber irgendwohin geschleppt” mag ich dann gar nicht gelten lassen. Schließlich bin ich weder verkalkt noch blöde. Das gilt allerdings auch für meine Mitbewohner. Weshalb zum logischen Schluss nur bleibt, das Wirken unsichtbarer Drittkräfte im Haushalt anzunehmen.

Wer hat meine Fleischwurst aus dem Kühlschrank und die Schokolade aus der Truhe gefressen? Wer hat den Autoschlüssel im Keller versteckt oder ist mit Matschschuhen durchs Wohnzimmer gelatscht? Wer hat des nachts den geleerten Mülleimer wieder befüllt und auf die Veranda gestellt? Wer plündert allweil die Haushaltskasse im Bierkrug? Wer säuft heimlich meinen Weinvorrat und klaut die Kondome aus dem Nachtschrank? … Antwort allemal: niemand.

Der Geheimnisse im Haushalt sind unzählige. Das unheimlichste von allen aber ist – Staub. Eben aufgewischt oder weggesaugt, hat er sich gleich wieder auf Pflanzen, Tische und vor allem Regale nebst ihre regungslosen Bewohner, Bücher und CDs, gelegt. Wie kann das sein? Es komme mir keiner mit „von draußen hereingeweht” oder mit „durch Herumgehen abgeschabte Teppichpartikel”. Wir waren zwei Wochen urlaubend außer Haus; Fenster geschlossen; sämtliche Geräte abgeschaltet. Die Bude also menschenleer und vermeintlich völlig stillgelegt. Dennoch fanden wir bei der Rückkehr das gesamte Interieur derart vom Staube bedeckt, dass selbst der diesbezüglich eher unempfindliche Walter frech von „Dreck” sprach.

Ergo: Der eigene Haushalt ist der geheimnisvollste Ort überhaupt – und deshalb wohl niemals vollends begreifbar.

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 35. Woche im August 2016)

 

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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