Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Des Kaisers neue Kleider

Die Welt ist ungerecht. Zwar liegt dieses Trier geradezu am Allerwertesten derselben. Was das Städtchen indes keineswegs hindert, zu tun, als sei es deren Nabel. Von den Kaiserthermen zur Porta Nigra bist du in 20 Minuten spaziert. Kürzer geht´s vom Koblenzer Hauptbahnhof zu Wilhelms Eck auch nicht. Dennoch tönen die dahinten an der Obermosel, wo sich allabendlich Fuchs und Hase „gute Nacht“ wünschen: Trier – größte spätantike Stadt nördlich der Alpen, zweites Rom, Kaiser-Metropole…

Dabei stünden die Herrschaften betröppelt da, hätte nicht Kaiser Diokletian anno 293 aus schierer politischer Not Treveris, diese belanglose  Etappengarnison, zur Kaiserresidenz aufgewertet. Nie wäre sein Nachfolger, der große Konstantin, dorthin gekommen. Nie hätten Zehntausende jüngst Anlass gehabt, eine Konstantin-Ausstellung in Trier zu besuchen. Die Trierer selbst wären zwecks weltweiter Aufmerksamkeit ganz auf den ungeliebten Sohn ihrer Stadt verwiesen: Auf Karl Marx, dem sie nun 2018 eine große Ausstellung einrichten dürfen/müssen. Was die wohl zeigen wird? Beschriebenes Papier bergeweise und den spärlichen Hausrat von Gattin Jenny?

Immerhin, Kaiser wie Rauschebart haben die Welt bewegt – was sich von kurtrierischen Fürsten kaum sagen lässt, wie Mittelrheiner gut wissen. Ein Schloss, das mittlerweile gerade noch als Herberge für Amtsstuben durchgeht, haben sie uns in Koblenz hingestellt. Fürs örtliche Theater kein eigenes Geld gehabt, aber mit Feudal-Franzosen fraternisiert und uns so die Pariser Revolutionsarmee auf den Hals gezogen; nicht ohne selbst beizeiten Fersengeld zu geben. Mit Kurfürstens ist kein Staat zu machen, weshalb die Trierer lieber römische Kaiser und sogar den ollen Marx in Dienst nehmen. Hauptsache, Touristen strömen – seien es auch  Rotchinesen oder neureiche Ex-Komsomolzen auf Nostalgie-Reise zum Urquell des wissenschaftlichen Sozialismus.

Welche Pfunde aber bleiben uns Mittelrheinern? Den Emsern ihre Depesche, den Kaubern ihr Blücher, den Mayenern wie den Goarshäusenern hübsche Frauen-Sagas. Na ja. Und was bleibt den Koblenzern – außer ihrer ewig vergeblichen Suche nach dem Beweis für eine bedeutende Statthalterschaft des Imperium Romanum am Ort? Die blasse Erinnerung an einen großen Augenblick: Rittersturz-Konferenz. Ferner eine zwiespältige Ahnung von Joseph Görres, der erst mit Marx marschierte, unterwegs jedoch zum Papst überlief. Ansonsten? Preußens Gloria, beidseits des Rheins mal wehrhaft, mal pittoresk in Stein gehauen.

„Haben sich Herr Oberlehrer endlich ausgekotzt?!“ Freund Walter wirkt ungehalten: „Warum nur reiten ältere Leute immer auf alten Geschichten herum?“ Das, mein Lieber, erklärt die jüngste Gehirnforschung: Sofern ein Menschenhirn zeitlebens rege war und noch nicht pathologisch vergreist ist, neigt es im reiferen Alter intuitiv dazu, komplexe Zusammenhänge auch als solche zu betrachten. Beispiel: Erst der zeitliche Rückbezug lässt uns entdecken, dass der Textilhandel just versucht, unser Denken umzukrempeln.

Wenn ich früher neue Pullover brauchte, ging ich im Kaufhaus zur Herrenabteilung und dort in die Sektion, wo sämtliche Pullover versammelt waren. Als ich neulich einen kaufen wollte, fand ich nirgends Pullover-Sektionen, in etlichen Etablissements nicht mal mehr eine Herrenabteilung. Die Läden sind neuerdings nach Marken sortiert, statt vernünftig nach Produkten. Hosen, Pullover, Shirts wild durcheinander, einziges Ordnungskriterium: Die Hoheitsinseln von Boss, Esprit, S.Olivier e tutti quanti. Hat irgendein junger Mensch diesen Wandel überhaupt bemerkt? Siehste Walter, das ist die Stärke älterer Hirne mit ihren „alten Geschichten“: Sie kaufen Pullover, nicht Schall und Rauch – ob in Koblenz oder Trier. 

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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