Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Schleichgeworben – brutto wie netto

Gerade noch mal davongekommen. Wettermäßig gesehen. Zwar zeichnete den Sommer 2005  die längste Zeit seines Seins ein ziemlich mieses Sosein aus. Immerhin ließ sich das Gaukler-Fest zu Koblenz mit nur mäßig nassen Füßen im Pullover überstehen und flutschte das rheinische Flammfest im Jubiläumsjahr passgenau zwischen zwei Tiefs. Auch einige andere Veranstaltungen kamen glimpflich davon, ansonsten wurde Kunstgenuss oft zur Probe aufs fröstelnde Stehvermögen. Das scheint beträchtlich, denn kaum ein Veranstalter vermeldete bis dato eine vollends abgesoffene Saison. Brutto, heißt es, habe man schon einige Schwierigkeiten bewältigen müssen, netto sei das Ergebnis allerdings passabel bis blendend.
 
Verstehen wir das auch richtig? Bei Brutto-netto-Auskünfte ist dieser Tage Vorsicht geboten. Könnte ja sein, dass überm Strich nur die optimistischen Selbsteinschätzungen gelistet werden, darunter indes die Probleme klein gerechnet. Kompliziert? Dann mal weg von den Kulturmachern, die sich letztlich doch nur  redlich mühen, uns den germanischen Sommer zu versüßen. Nehmen wir die Deutsche Bahn AG. Brutto hat das privatisierte Unternehmen unlängst erstmals schwarze Zahlen geschrieben und den verschönbesserten Hauptbahnhof Koblenz in Betrieb genommen. Davon abzuziehen wäre, was der Firma alle Tage in den Medien zur Last gelegt wird, etwa: Behinderung von Behinderten (beim Transport und auf dem Klo); unwillige Bezahlautomaten und ähnlich gestimmte Zugschaffner; eine Preisstruktur, gegen die selbst die Billig!-Billig!-Zeitfenster von zwei Dutzend Telefonanbietern fast überschaubar sind. Das, nebst Entlassungen, Streckenausdünnungen, Verspätungen und Verteuerungen, geht vom Brutto ab; übrig bleibt das Bahn-Netto.

Sie durchblicken weder das Kultur- noch das Bahnbeispiel? Macht nichts, Sie sind in bester Gesellschaft: Die Kanzlerin in spe hat´s mit über oder unterm Strich auch nicht so, und der bayerische Ex-Kanzler in spe sprang ihr unlängst mit dem Spruch in die Seite: „Brutto, netto – welche Nebensächlichkeiten“. Einmal angefangen, konnte der Chef einer „regionalen 9-Prozent-Splittergruppe“ (ARD-Presseclub) von der Hüpferei dann nicht mehr lassen. So sind sie, die „Spontis aus Süddeutschland“ (Die Zeit). Womit die Verwirrung groß wäre, weil Angie die Kernkompetenz ihres Vereins plötzlich links liegen lässt, Edmund die Führung im Anti-CDU-Wahlkampf übernimmt, und die Herren von der Presse ihn mit jenem Knüppel verdreschen, der vor Zeiten zur Abstrafung der Grünen benutzt wurde. Derweil meinen die Sozis, den Lafontaineisten mit dem Begriff „Hospitanten der PDS“ eins auswischen zu können. Was sich so recht nicht begreifen lässt, weil das Wort Hospitant eigentlich ein honoriges ist und den aufmerksamen Gast meint.

Besser, wir lassen die Finger vom Wahlkampf, denn womöglich missverstehen wir das Gemache ebenso wie über viele Jahre den „Tatort“. Der galt uns als  Krimi mit öffentlich-rechtlicher Qualitätsgarantie – darin Schimi der erste unter den Helden, weil einer von unten, der das Gleichheitsprinzip vor dem Gesetz auch hochwohlgeborenen Gaunern um die Ohren haute. Dann kommt plötzlich auf, dass unser Lieblingskrimi eine Dauerwerbesendung ist und unser Kämpfer für Gerechtigkeit trotz Trinkfreude, Schlagkraft, Schmuddel und Beziehungsresistenz doch nur eine Litfaßsäule. „Schleichgeworben“ wurden wir, wie es die ehrwürdige Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) hochsprachlich formulierte. Also klammheimlich geleimt. Das wird bekanntlich überall versucht. Aber unter Schimis und der ARD Augen – das ist zu hart. Wem kann man jetzt noch trauen?

Verglichen mit solchen Niederungen dürfen dem feucht verflossenen Kultur-Sommer, ganz ohne schleichwerblichen Hintergrund, solide Unterhaltungsqualitäten nebst ein paar Kunstspitzen attestiert werden. Zwischen Sommerschauer und Restsonne freut sich die Kulturnase dennoch auf die neue Inhouse-Saison in Theatern, Stadthallen, Museen, Clubs etc. Da hat man ein Dach über dem Kopf, weiß, worauf man den Hintern bettet, welche akustischen und optischen Verhältnisse einen erwarten. Open-air-Kultur bleibt in unseren Breiten eben doch ein unberechenbarer Ausnahmezustand während der Sommerpause. Die reguläre Spielzeit beginnt JETZT.

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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