Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Vom Staube befreit …

Es ist schon ein arges Kreuz mit unseren großen Dichtern, Denkern, Musikern. Die alten – Bach, Beethoven, Kant, Goethe, Schiller e tutti quanti – zieren als Denkmäler Bauten und Plätze. Hierorts treiben in Sonderheit auch Joseph von Görres oder Clemens Brentano ihr Wesen. Die jüngeren Großen kriegten Nobelpreise, Albert Einstein etwa und  Günther Grass. Sofern die Genies nur ordentlich verstaubt, kann, wer mag, schwelgen in „deutscher Größe“. Vom Staube befreit, verursachen die Vorbilder von eben braven Bürgern allerdings Bauchgrimmen. Denn wohin auch immer dann der Blick fällt, er stößt, statt auf Paladine teutscher Ehre, Pflicht und Moral, allweil auf Krittelei und Revoluzzertum, auf Unbotmäßigkeit gegen die Herrschaft, Skepsis gegen die Religion oder Freisinnlichkeit in Liebesdingen.
 
Der sonst so genaue Goethe wird auffallend vage, stellt man ihm die Gretchenfrage:  „Wie hälst du´s mit der Religion?“. Von seinen Frauengeschichten im Leben und dem flotten Dreier am Ende der „Stella“-Urfassung gar nicht zu reden. Der Koblenzer Görres wollte in jungen Jahren – man stelle sich vor ! – das linke Rheinufer an die französischen Revolutionäre verkümmeln. Nachher wurde er per Haftbefehl gesucht, wetterte noch in seinen katholischen Altersjahren wider die Preußen. Und Brentano, „unser“ Rhein-Brentano, der erweist sich bei näherem Hinsehen als Hallodri: Der Angebeteten „ergießet“ er „des Hochzeitsbechers Fülle“ in den Schoß. Aber hinterher dann gesittet tun und sich über den „feilen geilen Leib“ der Dame empören. Wir am Rhein kennen diese verquere Denke schon von der Welterbe-Story um Loreley: Sitzt das Mädel barbusig, Blondhaar kämmend und unschuldig vor sich hin sirenend auf einem Stein, schon flutet den Kahnschippern das Blut aus dem Hirn hinaus, hinab in den unteren Leib. Mit dem „denken“ sie dann und fahren, ergo, auf Grund. Und wer hat Schuld? Lörchen selbstredend.

Nehmen wir Schiller und Einstein, weil die heuer – wegen Friedrichs 200. und Alberts 50. Todestag – in aller Munde sind (sein sollten). Hat uns doch der Dichter den Aufruhr einer  „Räuber“bande gegen jedwede Ordnung ebenso ins Kulturerbe geschrieben wie das ewige Misstrauen gegen sämtliche Obrigkeiten. Mit Beethoven singt er nicht etwa zum Lobe von Kaiser und Vaterland,  sondern für die Verbrüderung aller Menschen ohn´ Ansehen von Herkunft, Rasse und Nation – dieser von der Schule verwiesene, aus der Armee desertierte, ins Ausland geflohene Schiller. Es graust den Michel unter der Zipfelmütze: Und so einer soll Vorbild sein? Oder der andere etwa, der Nobelpreis-Physiker, der Reichs-Flüchtling, der Zunge-Rausstrecker, der Struwelpeter-Einstein? Diesen Typen, der die ehrwürdige  Universität in Grund und Boden schimpfte, den hielten doch die Amerikaner für einen Kommunisten.  Am Mittelrhein macht man von den beiden im Gedenkjahr eher wenig Aufhebens, konzentriert sich stattdessen in großer Koalition auf die Vorbereitung eines glanzvollen Mozart-Jahres 2006 mit schöner Musik allüberall. Unverfänglicher? Schon – gäbe es da nicht diese Geschichten von der Aufsässigkeit Wölferls, von seinen gar anstößigen Lustbarkeiten bei gleichzeitig ziemlich schwach entwickeltem Familiensinn.

Ach, ließe sich Gut und Schlecht, Richtig und Falsch doch sauber trennen, wenigstens bei unseren Nationalgenies. Bloß, das Leben ist nicht so, weil dialektisch. Das wird demnächst wieder erfahrbar, wenn das  Landesmuseum auf dem Ehrenbreitstein die Kulturgeschichte des Haribo-Konfekts ausbreitet. Weshalb ich besonders gespannt bin auf jenen Ausstellungsteil, der die Auswirkungen der bunten Süßigkeiten auf die Volksgesundheit thematisiert. „Wird es nicht geben!“ – diese üble Unterstellung aus dem Off weise ich entschieden zurück. Andernfalls könnte ja auch eine Schau zur Kulturgeschichte des Tabaks ohne die Betrachtung seiner Schädlichkeit auskommen. Das gibt es nicht, nicht bei unserem Landesmuseum!

Oder doch? Schließlich bringen auch die westlichen Nachbarn, die Trierer es fertig, ihre Geschichte mit gewisser Einäugigkeit zu betrachten. Gerne und völlig zu Recht strunzen sie mit ihrem römischen Welterbe, stellen derweil ebenso gerne den weltweit berühmtesten Sohn ihrer Stadt in der Besenkammer ab. Nicht etwa, weil Karl Marx einst betrunken in London randalierte und Straßenlaternen zertepperte. Sondern wegen der „Sachen“, die er geschrieben hat. Sachen, die einem heute teils vorkommen, als hätten Nobbi Blüm, Kurt Biedenkopf und Heiner Geisler ihre  jüngsten Wutausbrüche über den neoliberalen Gang der Dinge mit Attac-Flugblättern zum „Manifest“ zusammen geschmissen.

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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