Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Kling Glöckchen kling zum Glühwein-Swing („Quergedanken“)

                    Monatskolumne Nr. 221, Dezember 2023

  Es ist Marktzeit. Weihnachtsmarkt-Zeit. Also zieht es jede Menge Mitmenschen (nicht nur) nach Feierabend zum Workout an die geschmückten Stände in den Innenstädten, statt in die Muckibude oder auf den Heimtrainer. Die angesagtesten Disziplinen, zu denen Freundinnen und Freunde, Kollegen und Kolleginnen, ja ganze Belegschaften antreten, sind: Glühweinbecherheben, Bratwurst- und Spießbratenkauen sowie Gebrannte-Mandeln-Zerbeißen. So an die 3000 solcher Märkte soll es heutzutage in Deutschland geben, die in summa 30 und mehr Millionen Besucher verzeichnen, Mehrfachtäter inklusive. Mithin dürfte das „Weihnachtsmarkten“ die größte Massensportbewegung deutscher Gegenwart sein.

Viele kleinere Märkte dauern nur ein oder zwei Tage. Etliche größere und große greifen indes zeitlich immer weiter aus, beginnen mittlerweile schon lange vor dem ersten Advent und sind mit den Weihnachtsfeiertagen längst nicht beendet. Oder wie Freund Walter befürchtet: „Mag sein, die nach den Märkten bemessene Weihnachtszeit erstreckt sich demnächst von Allerheiligen bis Weiberfastnacht.“ Damit wäre allerdings die ohnehin kaum noch erkennbare Verbindung heutiger Weihnachtsmärkte zu ihren historischen Wurzeln vollends gekappt.

Denn anno dunnemals waren diese meist ein- oder zweitägigen Märkte im Jahreszyklus die letzte Gelegenheit vor allem für die Landbevölkerung: In Marktflecken oder Städten eigene Erzeugnisse feilzubieten und/oder sich einzudecken mit dem Nötigen, das sie nicht in ihrer Selbstversorgungswirtschaft herstellen konnten. Das möglichst bevor Eis und Schnee Wege über Land zur Tortur machten. Kurzum: Was wir heute, regional unterschiedlich, Weihnachtsmarkt, Christkindelmarkt, Adventsmarkt, Nikolausmarkt nennen, waren ursprünglich namenlose oder ganz anders bezeichnete Spätherbst- und Wintermärkte zur Versorgung mit Lebensmitteln, Kleidung, Haushaltswaren. Und die gab es, seit der Homo sapiens zum Bauer und sesshaft geworden, also lange vor Christi Geburt.

Die Ausweitung der Märkte auf Spielzeug, Naschwerk, Kunsthandwerk, Nippes sowie ihre Einbeziehung ins christliche Vorweihnachtsbrauchtum setzte im Spätmittelalter allmählich ein. Ihre großflächige Verwandlung in primär „stimmungsvolle“ Vergnügungsevents kam überwiegend erst im Laufe des 20. Jahrhunderts auf. So gesehen sind die Weihnachtsmärkte heutiger Art eine noch ziemlich junge Erscheinung – deren Ursprünge freilich Jahrtausende in grauer Vorzeit liegen wie bei so vielen unserer Brauchtümer, Volksfeste, Feiertage. Man denke an Fastnacht, Ostern, Sommersonnwende, Erntedank, Laternenumzüge etc. Ja, an den Weihnachtstag selbst, den Christen als Geburtstag ihres Heilands begehen, der aber für Menschen sehr vieler Kulturen und aller Zeitalter seit jeher eine besondere Marke war/ist: kürzester Tag und längste Nacht im Jahreslauf; von da an geht’s bergauf Richtung Frühling.

„Soweit der Lehrvortrag des Herrn Obermagister“, spöttelt Walter. Mein lieber Freund, Obacht! Sonst erzähl’ ich mal, zu welch sportiven Höchstleistungen du beim Weihnachtsmarkt-Workout fähig bist und wie „erschöpft“ bisweilen nachher. Und red’ dich nicht wieder mit der Musikbeschallung raus, die man ohne ordentliches Quantum gesüßten, heißen Würzweins kaum ertragen könne. Bei den allweil munteren Geselligkeiten an Glühwein- und Futterständen verrauscht das zuckerig verschlagerte Klingeling doch sowieso ungehört. (Was mir recht ist)

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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