Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Ein Leben für den Tanz – Zum Tod von Barbara Pietjou

ape. Trauer um Barbara Pietjou. Die einstige Tänzerin und nachher Tanzpädagogin, Mitbegründerin des „Tanztheaters Regenbogen“, der Koblenzer Kulturfabrik und des Koblenzer Jugendtheaters ist diese Woche nach schwerer Krankheit 71-jährig gestorben. Sie war eine interessante, liebenswerte, engagierte und für die Kulturszene in Koblenz oft wichtige Persönlichkeit. Ich durfte mit ihr im Verlauf mehrerer Jahrzehnte manch spannendes Gespräch über Kunst und Kultur, Tanz/Ballett, aber auch den Gang von Politik und Welt führen.

Nachfolgend mein letzter Artikel, den ich 2017 über Barbara Pietjou geschrieben haben – ein kleines Lebensporträt anlässlich des damaligen 20. Geburtstages ihrer Koblenzer Tanz-/Ballettschule „Steps“. (Veröffentlicht im August 2017)


Koblenzer „steps“ feiert Jubiläum –
Vom oft schwierigen Weg der Barbara Pietjou

Sie empfängt mich vor dem Fahrtstuhl – an Krücken gehend. „Ja, ja, es passt mal wieder wunderbar“, quittiert Barbara Pietjou ironisch meinen entgeisterten Blick. Drei Wochen vor der großen Bühnenshow zum Jubiläum ihres Koblenzer „Steps dance studios“ hat sich die 66-Jährige ein Knie verdreht, verrissen, angeknackst oder sonstwas unseliges damit angestellt. Die Diagnose lässt noch auf sich warten. Die Vorbereitungen auf und Proben für das Jubiläum können allerdings nicht warten. Schon einmal musste die Feier zum 20. Geburtstag von „steps“ wegen unglücklicher Umstände abgeblasen werden. Weshalb nun die beiden Veranstaltungen am 9. September in der Kulturfabrik/Kufa (15 Uhr für Kinder, 18 Uhr für die Älteren) auf den 21. Geburtstag fallen. Das aber ist jetzt Pietjous geringstes Problem: „Dann feiern wir eben das Erreichen der Volljährigkeit wie sie in meiner Jugend noch definiert war,“ meint sie schmunzelnd.

Unser Gespräch für diesen Artikel zum „steps“-Jubiläum führt weit zurück und tief hinein in die Geschichte der freien Kulturszene von Koblenz. Denn Barbara Anna Maria Pietjou ist zwar in Goslar geboren und aufgewachsen, hatte ihren ersten Ballettunterricht als Kind am Staatstheater Braunschweig, machte ihr Studium und ihre Staatsexamina als Tänzerin und dann auch Tanzpädagogin an der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Doch nach einem ersten Ballettengagement am Theater Flensburg kam sie schon 1975 als 24-Jährige nach Koblenz, wo sie bis 1978 der Compagnie des Stadttheaters angehörte, dann dort kündigte – um 1979 zusammen mit Doris Schaefer und Arno Alderath das „Tanztheater Regenbogen“ zu gründen.

Warum verließ Pitjou die Berufsschiene der Festanstellung an staatlichen Bühnen und stürzte sich in die Unwägbarkeiten des freien Tanzschaffens? Antwort: Weil bei den meisten Stadttheatern damals die Zeit noch nicht reif war für jene freien modernen Tanzformen, die sie neben dem klassischen Ballett studiert hatte und an denen ihr Herz bis heute hängt. Und: “Weil mir die fast noch feudale Autoritätsstruktur an den Theatern auf den Keks ging.“ Aufmüpfigkeit und Selbstbestimmungsdrang sind wohl schon in Naturell dieser Frau angelegt. Bereits als fünfjähriges Mädchen setzte sie ihren Wunsch, eine Tanzlaufbahn einzuschlagen, bei den Eltern mit einem dreitägigen „Hungerstreik“ durch.

Regenbogen, Jugendtheater, steps-Gründung

Barbara Pietjous weiterer Koblenzer Werdegang als freischaffende Tänzerin und Tanzpädagogin ist bis zur Gründung der eigenen Tanzschule „Steps“ 1996 eng verwoben mit: dem „Tanztheater Regenbogen“; der Entwicklung der Kufa von der maroden Fabrikhalle zum für Koblenz so wichtigen Kulturzentrum; mit dem Koblenzer Kinder- und Jugendtheater, das sie mitbegründete und wo sie von „Schängmarie“ und „Horrorladen“ bis „Geierwalli“ und „Kleiner Muck“ bei zahlreichen Produktionen die Tanzchoreografien übernahm. Regenbogen – Kufa – Jugendtheater, das ist ein eigenes Kapitel der jüngeren Koblenzer Kulturgeschichte, über das an dieser und anderen Stellen wiederholt ausführlich gesprochen/geschrieben wurde. Weshalb wir es hier lassen und nur kurz daran erinnern: Es ist ein Kapitel über Hoffnungen, Träume, Aufbruch; über Selbstausbeutung, Überschuldung, Verdruss; über Umbrüche, Neuanfänge und Fahrten mal in stürmischen, mal in ruhigen Wassern. Lebendige Kulturgeschichte am Ort, deren Höhen und Tiefen Pietjou allesamt  miterlebt hat – wenn sie nicht gerade in Portugal Tanzurlauber betreute oder sich zu Tanzstudien in München, Stuttgart, Paris, New York aufhielt.

Von der Baustelle zum dance studio

1996 dann der große Schritt: Pietjou verlässt mit ihren Tanzkursen die Kufa. Nach langem Suchen siedelt sie in Räume des Schängel-Centers am Zentralplatz um und hebt „steps“ aus der Taufe. Klingt simpel, ist aber für die seinerzeit 45-jährige Mutter zweier noch minderjähriger Töchter ein Kräfte zehrendes und ihre Finanzkraft bald übersteigendes Wagnis. Sie beißt sich durch, etabliert mit den Jahren ihr „Steps dance studio“ als eine feste Größe im Kulturangebot der Rhein-Mosel-Stadt. Waren es anfangs 40 Kursteilnehmer, so sind es nachher und bis in die Gegenwart 200 bis 300 oder mehr je Saison, die von einem 15-köpfigen Lehrkörper betreut werden. Manche der von der Chefin mit hohen Qualitäsansprüchen ausgewählten Tanzlehrer/innen sind seit vielen Jahren bei „steps“. Manche gehen nach einiger Zeit wieder andere Wege. Jüngst hat es einen Wechsel auf der Lehrposition für klassisches Ballett gegeben: Die bisherige Fachlehrerin machte sich selbstständig. Nachfolgerin ist eine Tanzpädagogin, die seinerzeit als Tänzerin bei Martin Schläpfers renommiertem „ballettmainz“ am Staatstheater Mainz aktiv war sowie als Compagniemitglied des Theaters Koblenz über Jahre allerhand bemerkenswerte Partien ablieferte.

Nochmal zurück zur „steps“-Historie. Anfang der 2000er-Jahre entwickelte sich die räumliche Situation nicht nur für Pietjou zum schieren Albtraum: das Schängel-Center wurde zur scheinbar nie enden wollenden Großbaustelle, ordentlicher Tanzbetrieb dort ein Ding der Unmöglichkeit. Elf Monate lang war „steps“ der einzige Mieter – mal ohne Strom, mal ohne Wasser, meist zwischen Dreck und Lärm. Im November 2003 kam Rettung in Form des Angebots einer Koblenzer Bank: „Ihr könnt den derzeit leer stehenden 4. Stock in unserem Haus am Wöllershof/Ecke Hohenfelderstraße benutzen.“ Was als provisorische Interimslösung angedacht war, ist schließlich mit etlichen Investitionen das bis heute feste Domizil von „steps“ geworden: ein großes und zwei mittelgroße Tanzstudios, Umkleide-/Aufenthaltsräume, Büro und manches mehr. Dort hat auch die von Madeleine Schröder gegründete, jetzt von Arina Horre geleitete „Schauspielschule Koblenz“ Heimstatt gefunden.

Tanz ist unmittelbarer Gefühlsausdruck

Das Spektrum der bei „steps“ angebotenen Tanzstile ist heute noch so breit wie von der Gründerin vom Start weg im Grundsatz konzipiert. Es reicht von klassischem Ballett über Jazz Dance, Flamenco, Salsa, Disco-Fox bis hin zu HipHop, Street Dance, orientalischem und afrikanischem Tanz sowie zeitgenössischem Ausdruckstanz. Es gibt Angebote für alle Altersklassen und Niveaus, beginnend bei 4-jährigen Eleven, noch nicht endend bei 70-jährigen Freunden geselliger Tanzfreuden. Wie sagt Barbara Pietjou, deren ganz dem Tanz verschriebenes Leben nicht immer einfach war/ist und die nun allmählich über eine Nachfolgeregelung nachdenkt: „Ich wollte stets möglichst viele Tanzstile anbieten. Hauptsache die Menschen tanzen, denn Tanz ist ein unmittelbarer, echter Ausdruck von Gefühl. Und das hilft, bereichert, macht glücklicher.“
Andreas Pecht

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