Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Leute, gebt acht auf euch

ape. Ich könnt‘ mich kringeln. Freund Walter ist nervös. Wieder hat ein Theater ein Stück angekündigt, in dem es vermeintlich um ihn geht. Letzte Saison brachte das Theater Koblenz „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter“ heraus, jetzt avisiert das Theater Bonn für Oktober die Uraufführung des Schauspiels „Wer ist Walter?“. Nur Zufall, versuche ich ihn zu beruhigen. Du hast halt so einen wunderbar gewöhnlichen Name, und die Kunst liebt es, das Ungewöhnliche im Allerweltsgewand aufzustöbern. Zugleich jedoch frotzeln Bekannte: „Walter, du wirst noch berühmt“. Was dessen Nervosität wieder befeuert. Denn der Freund will eines partout nicht: berühmt werden. Oft hat er mich gewarnt: „Wenn du je mein Inkognito lüftest, sind wir geschiedene Leute auf immerdar.“

Die ernste Seite an der Sache ist eben: Walter mag kein Promi, VIP oder Star sein – so sehr es heutzutage im Trend liegt, sich abzustrampeln, gar öffentlich Kakerlaken zu fressen, sich in aller Blödheit vorführen oder verkuppeln zu lassen, nur um berühmt zu werden. Walter möchte auch nicht reich werden. Er, nein: wir beide, haben so manchen erlebt, der beim Streben nach Karriere und Wohlstand vergessen hatte, zu leben. Mit 60, 50, 40 oder noch weniger Jahren fallen sie dann auf den Rücken, strecken alle Viere von sich, weil Herzkasper, Auszehrung, Nervenzerrüttung, Versagenspanik sie niederwerfen. Wir wissen, wovon wir reden. Denn auch jeder von uns beiden hatte seine irre Phase, ein paar Jahre, in denen alles dem Erklimmen jener Leiter galt, deren Stufen aus Einkommen und Ansehen deinen Wert als Mensch zu bemessen scheinen.

Wir hatten Glück, denn irgendwann konnten wir uns vom Hamsterrad des  Immermehrimmerschneller halbwegs lösen, ohne gleich am Hungertuch zu nagen. Walter war da radikaler als ich. Job-Wechsel, Stundenreduzierung, Einschränkungen, freiwilliger Abstieg von der mittleren in die untere Mittelschicht: Was er da durchzieht, ist das Abwenden von den Normidealen der kapitalistischen Moderne – zugunsten einer Lebensart, die ich freier, selbstbestimmter, freudvoller, widerständiger nennen möchte. Dabei folgt der Freund der Devise: „Auch wenn ich nur noch 20 Stunden die Woche einer Lohnarbeit nachgehe, so ist doch jede Stunde ihr Geld wert.“ Die Bescheidenheit seiner Lebensführung, sagt er, berechtige niemanden, ihn mit einem Hungerlohn abzuspeisen. Und Walter ist gut in dem, was er tut. Hätte er nicht den Ausstieg gesucht, er wäre heute vielleicht Chef von irgendwas und/oder ein Wrack – aber gewiss nicht der liebenswerte Querulant, der er geworden ist.

Die Lehre aus der Geschicht‘? Der Freund würde sagen: „Die einen werden so schlecht bezahlt, dass sie aus ihrem Kladeradatsch nicht raus können; was eine Sauerei ist. Die andern wollen den Kladeradatsch, weil sie sich damit eine Weile wohlfühlen oder ihnen nix besseres einfällt als ein Dasein im Streben nach Wohlstand und Aufstieg. Kaputt gehen heute in beiden Gruppen viele an der maßlosen Beschleunigung des Lebens und seiner Überfüllung mit wohlfeiler Leere.“ Das würde er sagen, wenn er zu diesem Thema spräche. Tut er aber nicht. „Das Belehren ist dein Geschäft“ bedeutet er mir. Doch auch ich habe erstmal nur den Rat: Leute, gebt acht auf euch. Und natürlich bleibt das Versprechen, Walters Inkognito, damit sein Menschenrecht auf Privatsphäre nebst Einfachheit und Langsamkeit zu wahren.

Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 39. Woche im September 2018

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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