Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Rettet den Mittagsschlaf!

ape. Ist schon seltsam: Bei Babys, Kleinkindern und alten Menschen gilt der Mittagsschlaf als selbstverständlich, ja lebensnotwendig. Auch Hund und Katz nimmt niemand krumm, wenn sie sich des Mittags zusammenrollen und die lieben Götter – sprich: Frau- oder Herrchen – gute Leut‘ sein lassen. Überhaupt nimmt keiner Anstoß daran, dass die gesamte Sippschaft der Säugetiere sich nach dem Mahle ins Schlummerland begibt. Nur beim (deutschen) Menschsäuger wird spätestens ab Einschulung und bis zur Verrentung die Mittagszeit zum Kampfeinsatz wider die eigene Natur.

Am ärgsten trifft das die Schüler. Denn der durchschnittliche Werktätige kann nach dem Essen immerhin mit starkem Kaffee, Gymnastik, Kurzspaziergang oder sonstigen Waffen gegen die Schläfrigkeit zu Felde ziehen. Schüler hingegen haben zu diesem Zeitpunkt meist noch nichtmal gegessen, müssen indes auf Schulbänken stillesitzen und gewaltsam zumindest dem Schein nach die Augen offen, Kopf wie Leib aufrecht halten.

Solcher Unfug hat mit althergebrachter Schaffer-Tradition rein gar nichts gemein. Ursprünglich sagte der Volksmund: „Nach dem Essen sollst du ruh’n”. Schluss. Kein Wort mehr. Erst später hängte wohl irgendein Unternehmsberater oder Fitnessguru den sportiven Zusatz dran: „… oder 1000 Schritte tun.” Walter ergänzt eine Erweiterung aus seiner Jugendzeit: „… Hast du beides nicht zur Hand, häng ihn Pril, den Pril entspannt.” Ja, ja, ich weiß, dazwischen fehlt noch ein Verslein. Aber was der Freund da leichtfertig über Geschwindlustbarkeiten zum Nachtisch deklamiert, ist hier nicht zitierbar.

Stattdessen seien Gepflogenheiten aus meiner Kindheit erinnert: In Vaters Schreinerei löffelten zwischen 12 und 13 Uhr der Lehrling, die zwei Gesellen und der Meister erst flott ihre Henkelmänner aus, um hernach auf den Werkbänken ein Schläfchen zu machen. Beim Onkel auf dem Feld lagen zur Heuernte die daran Mitwirkenden für eine halbe Stunde im duftenden Trockengras – derweil daheim die Tante im Sessel und der Großvater auf der Eckbank schnarchten.

Mir selbst sank ab Klasse 12 in der 6. Schulstunde unweigerlich der Kopf auf den Tisch. Denn die Natur verlangte ihr Recht, und die Angst vor dem Lehrpersonal war mit dem Erscheinen erster Barthaare verschwunden. Bis dahin hatte das Mittagsschlafbedürfnis stets Blessuren zur Folge, weil der Bub sich erst auf der Heimfahrt in rütteligen Bimmelbahnen aus solidem Stahl mit Holzbänken traute, ihm nachzugeben.

Immanuel Kant lud häufig gebildete Zeitgenossen zum Mittagsmahl bei sich zu Hause. Vier bis sechs Herren verbrachten gut drei Stunden disputierend beim mehrgängigen Essen. Nachher ließen sie die Köpfe auf die Brust sinken und gaben sich sitzend am Tische einem gemeinsamen Schlafründchen hin. Alles bloß Nostalgie? Ne, ne, alles unmissverständliche Hinweise, dass die Vertreibung des Mittagsschlafes aus dem Kanon der Lebensgewohnheiten ein von der neuzeitlichen Beschleunigungsmafia erzwungener Irrweg ist. Südländer würden dem sofort zustimmen, wissen sie doch, wie sehr Hitze die normale Mittagsschläfrigkeit verstärkt.

Leute, wartet’s ab: Hat der Klimawandel uns erst richtig im Griff, werdet ihr finden, dass die Siesta ein Glück ist und das 11. Gebot ein Segen: „Du sollst zwischen 12 und 14 Uhr keinen anrufen, anpiepsen, anmailen; du sollst niemanden, auch keine Behörden und Geschäfte, heimsuchen; du sollst Ruhe geben und Mittagsschlaf halten!”

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 17./18. Woche im April/Mai 2016)

 

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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