Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Wie politisch wird die Spielzeit 2016/17?

Koblenz. ape. Das Theater war immer eine Kunst, die sich in gesellschaftliche Prozesse einmischt. Seit der Antike schaut es dem Volk und den Mächtigen aufs Maul, auf die Finger, hinein in Hirn und Herz. Dies umso nachdrücklicher, je schwieriger die Zeiten und je größer die Verwirrung in den Köpfen. Die Bühnenkunst kann und will Politik nicht ersetzen, aber sie kann und will den Bürgern wie dem Staat den Spiegel vorhalten, Fragen aufwerfen, Denken und (Mit-)Gefühl anregen, die Notwendigkeit auch des Träumens unterstreichen.

Da das Denken, Reden, Handeln im Land sich teils zu erbitterten Feindschaften aufschwingt, kommt das Theater dieser Tage nicht umhin, sich verstärkt auf seine Tradition der Einmischung zu besinnen. Manches Schauspiel- und Opernhaus in Großstädten, in denen Flüchtlingszüge ankommen, hat aus Foyers, Fluren, Probebühnen Notunterkünfte gemacht. Manches Ensemble bezieht mit demonstrativen Aktionen Position gegen fremdenfeindliche Umtriebe. Und auf fast jeder Bühne gewinnen Stücke und Spielpläne vor dem Hintergrund des aktuellen Draußen neue Aktualität drinnen. Alles andere wäre verwunderlich in Häusern, für die das Zusammenarbeiten von Menschen aus aller Herren Länder völlig selbstverständlich ist.

Also geht auch an die Programmplanung des Theaters Koblenz für 2016/17 die Frage: Wie politisch ist der neue Spielplan? Dass es fürs Publikum eine Saison aus Wiederbegegnung mit bekannten Klassikern und zugleich hohem Anteil von Erstbegegnungen mit Neuem wird, ist augenfällig. Im Musiktheater einerseits die Dauerbrenner „Figaro”, „Rosenkavalier”, „Carmen”; andererseits drei weithin unbekannte Stücke, die allerhand Reibungsfläche bieten: Deutsche Erstaufführung von Eichbergs Kammeroper „Glare”, die Kálmán-Operette „Herzogin von Chicago” sowie das Webber-Musical „The beautiful game” über den nordirischen Konflikt zwischen zwei Religionsgemeinschaften.

Im Schauspiel Werke, die spätestens auf den zweiten Blick ihr Potenzial zur Einmischung enthüllen. „Hamlet” mit Shakespeares mannigfachen Fragen zu Staat, Politik, Rachedurst. Molières „Tartuffe” mit seiner scharfen Humorklinge gegen religiöses Eiferertum. Tschechows „Möwe” über eine Gesellschaft am Vorabend ihres tief greifenden Umbruchs. Dazu die Uraufführung einer Dramatisierung des Romans „Die Abenteuer des Joel Spazierer” von Michael Köhlmeier: Darin ein an Goethes Mephisto erinnernder monströser Schelm, der uns die dunklen Seiten Europas zeigt, als wolle er die derzeit in Koblenz spielenden „Faust” I und II mit einem neuzeitlichen Teil III fortschreiben.

Wir sehen: Auch ohne direkt das Demonstrationsbanner aufzuziehen, kündet dieser Spielplan von einigem mehr als bloß erbaulicher Elfenbeinturmkunst. Hinzu kommt die Ansage von Intendant Markus Dietze, dass er sich vorbehält, außerhalb des Abonnements mit den Mitteln des Theaters schnell auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Wenn die Humanität einer Gesellschaft zur Disposition gestellt ist, kann das Theater nicht gleichmütig beiseite stehen. Das wäre wider seine Natur..

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