Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Das Phänomen Büstenhalter

ape. Darf ein Mann sich öffentlich über Frauenbekleidung auslassen? Gar über weibliche Unterwäsche? Klar doch, die Damenschaft macht’s umgekehrt schließlich auch. Aufsätze von Kolleginnen und in aller Frauenwelt gepflegte Lästereien über Feinripp, Boxershorts oder Tennissocken füllen Bände. „Lass es trotzdem”, rät Walter, „du wirst dir nur die Finger und sonstwas verbrennen.” Pah, ich will aber! Draußen brüten 38 Grad Hitze, da fällt einem das Thema doch in den Schoß. „Schon verbrannt”, feixt der Freund mit Verweis auf den Hintersinn, den man/frau dem Wort Schoß unterstellen könnte. Ach Gott, dann fällt mir das Thema halt in die Hände oder zwischen die Beine. „Noch schlimmer!”

Was soll die Kleinkrämerei, wenn selbst die gut katholische Nachbarin ungeniert im Bikini unterm Sonnenschirm hechelt? Wenn man beim Flanieren durch Berlin-Mitte oder Koblenz-Zentrum bald nicht mehr weiß: Gehört der Büstenhalter nun zur Unterwäsche oder ist er Teil transparenter Sommeroberbekleidung, gar Ersatz dafür? Ich höre schon den Einwand, Bikini-Oberteile seien keine BHs, sondern Badebekleidung. Auch seien abseits der Strände offen getragene Körbchen keine Büstenhalter im klassischen Zwecksinn der Busen-Stütze, sondern Modechic. Mit Verlaub, unter kulturhistorischem Blickwinkel – und allein um diesen geht es mir selbstredend – ist das alles eins.

Der Büstenhalter nämlich ist ein ganz außerordentliches Phänomen. Er ist von seiner naturgemäßen Funktionalität her das einzige (!!!) geschlechtsspezifische Kleidungsstück der Menschheitsgeschichte. Gell, da staunen’s?! Schuhe, Hosen, Hemden, Jacken, Pullover, Hüte tragen Männlein wie Weiblein. Dass wir sie für beide Geschlechter unterschiedlich gestalten, ist nur geschmäcklerischer Firlefanz. Aber Röcke und Kleider? Man wandere die Bekleidungsstile diverser Zeitalter und Kulturen ab, dann findet man von der Toga bis zum Kilt Röcke und Co. als gängige Männerkluft – hergeleitet von Tierfell-Umhang und Lendenschurz unserer Urväter und -mütter

Es komme mir jetzt niemand, die jüngste Generation der Tangas (Stringtanga) sei eine Erfindung nur für Frauen. Der einschlägige Wäschehandel bietet die zur vermeintlichen Unterhose zweckentfremdete Vorhangkordel inzwischen ebenso für Männer an. Und etliche meiner Geschlechtsgenossen ziehen sich das Ding tatsächlich durch die Backen, wohl in der Hoffnung auf einen knackigen Po. Diese Hoffnung ist für beide Geschlechter fatal. Denn das rückwärtige Schnürl schaukelt vielleicht Hämorriden, aber es hält nix, formt nix, verschönert nix. Und Mutter Natur hat nun mal nur den wenigsten Mitmenschen, seien sie jung oder älter, ein Hinterteil mitgegeben, das durch solches Zaumzeug an Esprit gewönne gegenüber dem von Tuch gefassten oder dem völlig nackten Ar…. .

Ganz anders der Büstenhalter. Er trickst nicht nur die Schwerkraft aus, die sich auf die weibliche Brustpartie je nach individueller Naturanlage so drastisch auswirken kann wie sonst auf keinen Körperteil. Zugleich ist den Damen mit dem BH ein raffiniertes Instrument an die Hand gegeben, die eigene Außenform nach Gusto zu gestalten. Ob frau das nutzen muss, um durch Heben, Pressen, Ziehen, Runden, Ballen Männerträumen von prall gefüllten Dirndln gerecht zu werden, ist eine andere Frage. Ebenso, ob frau im Alltag seltsamen Modediktaten folgen muss, die schier unter die Schlüsselbeine gequetschte Sportivbrüstchen vorschreiben.

(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Publikumsmedium außerhalb dieser website 31./32. Woche im Juli/August 2015)

Anmerkung:

Einen Augenblick hatte ich gezaudert, den Büstenhalter als das einzig geschlechtsspezifische Kleidungsstück ever zu bezeichnen, weil mir das Suspensorium in den Sinn kam. Doch belehrten mich die einschlägigen Lexika, dass es sich bei diesem Gonadenschutz oder Sackhalter oder Gemächtaufwerter nicht um ein Kleidungsstück handelt, sondern entweder historisch um einen männlichen Protzschmuck oder bei Tänzern und Fechtern um einen für ihr Tun speziellen Ausrüstungsgegenstand.

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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