Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Wer sich dabei Böses denkt

„Hi, Mister Querdenker, bist Du eigentlich immer oder nur beim Schreiben so mies drauf? Sicher, die Welt ist bekloppt, aber es gibt doch auch noch gute Nachrichten und  Entwicklungen.“ Diese Kritik von Leserin Katharina trifft den Kolumnisten, der sich für ausgesprochen lebensfroh hält, hart. Nichts desto trotz, liebe Katharina, sei die Kritik als Anregung aufgegriffen. Versuchen wir es heute also mit positiven Nachrichten:

Nachdem sie über Jahrzehnte immer wieder angedacht, stets aber aus technischen, finanziellen oder denkmalschützerischen Gründen verworfen wurde, scheint sie nun doch zu kommen –  die Seilbahn vom Deutschen Eck zur Festung Ehrenbreitstein. Wohin alle früheren Hinderungsgründe urplötzlich verschwunden sind, lässt sich so genau zwar nicht nachvollziehen. Aber offenbar gilt die alte Weisheit von Wille und Weg. Deren hiesige  Version geht so: Wo ein Traum ist, findet sich auch ein Steig. Mein Freund Walter brummt skeptisch was von „kriegen die nie hin, und wenn, sind sie den Welterbestatus los“. Walter ist halt ein Gestriger, den Bogen mit dem Positiv-Denken hat er noch nicht raus. Dabei könnte er am Beispiel Rhein-Steig sehen, dass es funktioniert.

Man muss nur wollen, schon geht´s in den Örtchen am rechten Unesco-Rheinufer rund wie in Berchtesgaden zwischen Juni und August: Zünftig berucksackte Leiber aus aller Herren Länder stapfen auf strammen Waden zuhauf umher – morgens munter, abends runder. Hierorts nie gesehene Scharen von Wandersleuten bevölkern die Hänge, lassen in Gasthäusern, Pensionen, Hotels die Kasse klingeln. Und wovon kommt das? Bloß von einem simplen, rohen, unbequemen, anstrengenden Wanderpfad. Der Witz ist: Wäre der Rhein-Steig nicht eine schweißtreibende Schinderei, sondern ein bequemer Spazierweg, der Publikumszuspruch bliebe schlichtweg aus. Den Witz haben noch nicht alle kapiert – weshalb mancher Einheimische auswärtige Wanderer, die nach dem Rhein-Steig Richtung Nachbarort fragen, wohlmeinend auf kürzere und einfachere Wege via Rhein-Promenade oder auf die Eisenbahn verweist. Braucht eben alles seine Zeit.

Das waren doch schon zwei sehr gute Nachrichten von vor der Haustür. Von weiter weg  gibt´s auch welche. Deren Bewertung hängt freilich etwas von der persönlichen Perspektive ab. Im hessischen Dietzenbach hat der Stadtrat einen richtungsweisenden Beschluss zur Förderung der Integration von Kindern mit Migrationshintergrund gefällt: Künftig werden dort im Kindergarten die Deutschlandfahne und ein Porträt vom Bundespräsidenten aufgehängt. Ich möchte diese Initiative aufgreifen und schlage als Fortgeschrittenenprogramm vor: allmorgendliche Fahnenappelle nebst Nationalhymne  und Treueschwur auf die Führer von Partei(en), Staat und Nation.

In Deutschland waren solche Vermittlungspraktiken für patriotische Werte lange Tradition, und andere Länder machen es schließlich heute noch so – China und Nordkorea beispielsweise. Ersteres immerhin ein viel beneideter Globalisierungsgewinner. Letzteres der Grund, nun George W. Bush zu rehabilitieren: Denn der hatte den Irak angegriffen, weil die dort nicht auffindbaren Massenvernichtungswaffen in Nordkorea versteckt worden sind. Das wird jetzt allmählich als großräumige Bush-Strategie für den nah-fernöstlichen Raum deutlich. Uns kleinen Geistern täte halt ein bisschen mehr Vertrauen in die Weitsicht unserer Führer ganz gut. Auch wenn wir nicht immer alles verstehen, was deren überragenden Hirne ausbrüten.

Die jüngst ausgebrochenen „Unterschichtendebatte“ etwa. Liebe Katharina, mir will zwar nicht in den Kopf, warum die Politiker eben erst entdecken und lauthals beschreien, was seit Jahren ein offenes „Geheimnis“ ist: Dass a) die Kluft zwischen Arm und Reich im Land immer größer wird, b) die Zahl der Armen ständig wächst und dass c) ein Job längst keinen Schutz mehr gegen Armut bietet. Mir will auch nicht in Kopf, dass die Herrschaften nicht von Schichten und Unterschichten sprechen mögen, obwohl wir seit jeher und weiterhin in einer Klassengesellschaft leben. Aber sei´s drum, nennen wir halt eine gute Nachricht, dass die Politiker jetzt wenigstens als „neue Armut“ anerkennen, was landauf und –ab als hundsgewöhnliche und sich keineswegs erst neuerdings vermehrende Armut bekannt ist.

Noch ´ne gute Nachricht? Die Energiekonzerne haben soeben eingestanden, dass der Klimawandel tatsächlich stattfindet. Jetzt kann man sich vor ihrem Drängen, eine Energiewende einzuleiten, kaum mehr retten. Für uns am Mittelrhein heißt das: Aufpassen, dass nicht plötzlich der totale Stop verkündet wird – Abrissstop für das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich. Unfug? Hysterie? Nein, nur Lebensfreude angesichts „guter Nachrichten“.

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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