Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Seit Adam baggert und Eva spinnt

„Was da mitschwingt, weiß doch kein Mensch mehr“, brummt Freund Walter, als er die Überschrift sieht. Da übertreibt er wohl, denn ein paar gebildete Altlinke wird es ja selbst am Mittelrhein noch geben. Und zumindest die sollten begreifen, dass hier nicht bloß auf den öffentlichen Geheimwunsch der TV-Eva (Herman) angespielt wird, vom Manne wieder als Rippchen aus eigener Zucht angeknabbert, ausgekocht, schließlich abgenagt werden zu wollen. Besagte Altlinke sollten sich an ein Lied von 1865 über einen Typen namens Florian Geyer erinnern. Für alle andern muss, zugegeben, der Schlagzeile Hintersinn erst erhellt werden. Wofür auf das Ende dieser Kolumne verwiesen sei.

So ist das eben in der Kunst: Wer von kulturgeschichtlichen Kontexten nichts weiß, hält im Angesicht der  Meisterwerke aus Malerei, Musik, Literatur… bloß staunend Maulaffenfeil. Man stöhnt „ach“ und „schön“ oder „wie grässlich“, doch vom Sinn der Werke begreift man gerade so viel wie der sprichwörtliche Ochs vorm großen Scheuertor. Denken Sie sich ein Land, wo niemand je von Bibel oder zehn Geboten gehört hat. Den Leutchen dort möchte etwa Goethes „Faust I“ sehr seltsam vorkommen. So seltsam wie den Hiesigen heute „Faust II“ und hunderttausend andere Kunstwerke, die sich beziehen auf antike Mythen, von denen  nur noch ein paar Klugscheißer zu wissen scheinen.

„Es spricht Oberlehrer Doktor Pe…“ spöttelt Walter. Das tut er, wann immer ich das Bildungsbanner hisse, um mit Goethes letzten Worten „mehr Licht“ in die Düsternis der  Ignoranz zu beschwören. Was nötig bleibt, solange Zylinder Turbane und Turbane Zylinder als unerträglich anfeinden, solange Adam sich als Krone der Schöpfung geriert und Eva ihm  brav die Kelche serviert. Natürlich, auf den Blickwinkel kommt es an, sogar innerhalb desselben Kulturkreises: Ist Loveparade oder Oktoberfest lustvoller respektive unanständiger? Ist Buga 2011 in Koblenz ein Bluff mit nix oder ein Einsatz-Treiben mit Royal Flash? Ist das Kopftuch eine Kofferbombe oder die Krawatte ein Unterdrückungsinstrument, sind vielleicht beide bloß Verhüterli? Das alles muss neu bedacht werden, seit die Forschung die Möglichkeit einräumt, dass Goethe auf dem Totenbett nicht „mehr Licht“ meinte, sondern sich im Frankfurter Dialekt seiner Kindheit über die Matratze beschwerte: „mer liecht…“, man liegt hier so schlecht.

Die Welt ist unpraktisch. Mussten unbedingt drei Religionen sich jenen winzigen Flecken Palästina zur Wiege nehmen? Wäre wenigstens Jesus andernorts, idealer Weise in Bayern, geboren worden, man hätte sich Kreuzzüge und andere Raub- und Raufhändel sparen können. Womöglich hätte sogar die „Bild“-Zeitung mal zutreffend getitelt „Mir soan Poabst“, statt das mehrheitlich nichtkatholische Deutschland mit der Ente „Wir sind Papst“ zu erschrecken. Die Kollegen vom Boulevard machen sich´s mit der Religion zu leicht. Mit der Nation übrigens auch: „Die Deutschen sterben aus“ heißt es. Was ein grober Unfug ist. Aussterben setzt eine biologische Spezies voraus. Von einer Spezies der Deutschen wusste freilich nur das NS-Wissenschaftskorps 1933 ff zu fabulieren.

Dass Deutschsein in erster Linie eine Frage des Passes ist, in zweiter eine der Kochtöpfe war,  erst in dritter Linie und mittels Verbreitung des Idioms Hochdeutsch durch den Rundfunk auch eine Frage der Sprache wurde, sollte gerade Mittelrheinern klar sein. Wandern doch seit Jahrtausenden Menschen aller Herren Länder Rhein und Mosel rauf und runter.  Zogen doch seit Urzeiten internationale Heerhaufen übers eifelanische Maifeld. Selbst Blüchers Mannen, die in der Neujahrsnacht 1813/14 in Koblenz über den Rhein setzten, waren keine Deutschen, nicht mal Preußen, sondern russische Schwadrone. Und keineswegs bloß Römer blieben, vieler Völker Samen ist in die mittelrheinischen Stammbäume eingeflossen. Wie soll einer den hiesigen Menschenschlag begreifen, der bloß von Deutschen faselt? Wie soll einer die Menschen hier verstehen, wenn er nicht weiß, dass sie jeden Tag mit dem Gedanken aufwachen, der Himmel könnte ihnen auf den Kopf fallen. Wäre nicht das erste Mal. Muss bloß der Laacher See „Puff“ machen, gleich stecken wir wieder bis sieben Meter über die Halskrause in der Schei…, im Bims.

So viel zum Kontext, zu den Umfeldbedingungen, die kennen muss, wer durchblicken will bei Welt, Kunst, Mensch. Womit wir wieder bei der Überschrift wären und einem alten Lied, das einen noch älteren Bauernaufstand unter der Buntschuh-Fahne lobpreist. Darin heißt es: „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da Edelmann?“ Die Sache ging übel aus für die Bauern, weshalb das Lied mit dem Vers endet: „Geschlagen ziehen wir nach Haus, die Enkel fechten´s besser aus.“ Ein Irrtum, wie wir feststellen müssen, da nun Adam baggert und Eva spinnt.

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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