Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Mozartkugeln und Kamelle

Das kann noch keine Frühjahrsmüdigkeit sein, was meinen Freund Walter derzeit so seltsam anwandelt: abwesender Blick, dümmlicher Ausdruck, nichts geht voran, kein Elan, kein Esprit, no Sex. Walter winkt ab – „wird schon wieder“. Es sei jedes Jahr das gleiche: Nach  Freuden nebst Krisen vor und zu Weihnachten, über Silvester und an Neujahr verkriecht sich die Stimmung ins Koma. Januar und erste Februarwochen sind eben, wenn schon kein Jammertal, so doch eine leidlich triste Niederung.
 
Was Wunder, die Neujahrsvorsätze zwicken und zwacken schließlich doppelt. Nicht mehr rauchen ist Qual, wieder rauchen wäre Schmach; Joggen nervt, es zu lassen wäre lächerlich; Treue bringt sehr lange Abende, Untreue brächte wieder Haareraufen nach schlaflosen Nächten… Verloren zwischen den Fronten fühlt sich Walter wie ein falscher Fuffziger – darin der Matschigkeit heutiger Mittelrhein-Winter durchaus ähnlich.

Nun ist Freund Walter eigentlich weder Jammerlappen noch Beckmesser, sondern Frohnatur. Was ihn allerdings nicht automatisch in die Lage versetzt, über bedenkliche Sachverhalte  mit rosaroter Brille einfach hinwegsehen zu können. „Wenn das man gut geht“, brummte er unlängst, als wir an der gigantischen Tag-und-Nacht-Baustelle von Ikea Koblenz vorbei fuhren. Darauf ich: „Wirst sehen, die werden pünktlich fertig.“  Nun wieder er: „Sowieso. Aber was wird mit all dem zusätzlichen Verkehr, der nachher über die B9 rein- und rausrollt?“ Walter hat nichts gegen die Schweden, misstraut jedoch der deutschen Straßenplanung: Er rechnet mit einem neuen Dauerstauzentrum. Und er kichert, wenn Lokaloptimisten schwärmen, das Elch-Kaufhaus brächte neues Publikum auch in die Innenstadt. Walter mag seine Heimat. Eben deshalb macht er sich über dies und das so seine Gedanken, manchmal sogar Sorgen. Weil er dann sein Maul nicht halten kann, wird er bisweilen „Schwarzmaler“ oder „Nestbeschmutzer“ gescholten.   

Für einen Moment vergnügt wurde er, als just Anfang des Jubeljahres zu Wolfgang Amadeus Mozarts 250. Geburtstag mit der Publikation eines uralter Briefes die hierorts stolz geschwenkte Fahne „Mozart besuchte Koblenz“ in etwas realistischeres Licht getaucht wurde. Geschrieben hat den Brief Leopold Mozart, und beklagt werden darin die wenig erbaulichen Umstände einer Rhein-Reise im Jahr 1763. Der Papa des österreichischen Musikgenies lamentiert über „Wasserfatalitäten“, also über hundsmiserabliges Wetter, das ihn mitsamt seinen beiden Wunderkindern Wolfgang und Nannerl auf dem Weg nach Bonn zum Aufenthalt in Koblenz zwingt. Der Zeitzeuge ist lesbar frustriert, denn neben Dauerregen schlägt den Mozarts die Grobschlächtigkeit der hiesigen Hofgesellschaft ebenso aufs Gemüt wie die Verwahrlosung der Stadt. Bei Hofe bestehe „das meiste in Essen und tapfer Trinken“, die Gebäude seien „meistentheils alt, die Kirchen schmutzig und überhaupt sind die Strassen, und alles was in das Auge fällt nicht sauber gehalten“. Bleibt als kleiner Trost für darob gekränkte Lokalpatrioten: Leopolds Urteil über den misslichen Zustand der Aristokratie, der Gebäude und Wege in Koblenz war ebenso auf Mainz gemünzt.

Ist´s  Nestbeschmutzung, wenn jemand heute das historische Dokument abdruckt? Oder ist schon unerhört, dass Leopold Mozart beschrieb, was er hier sah und erlebte? Walter würde sagen: „Paperlapap Nestbeschmutzung – das Nest war halt schmutzig.“ Nachher würde er über den Zirkus im Mozart-Jahr  knurren, wie er schon über den Zirkus im vergangenen Schiller-Jahr geknurrt hat: „Hinhören und nachdenken muss man, nicht die Burschen anbeten und ihre Werke wie Reliquien verherrlichen oder verhökern.“ Derart könnte sich mein Freund allmählich in Rage reden. Könnte – schriebe man nicht Ende Januar, wäre der Himmel überm Mittelrhein nicht so grau und hätte Walter nicht seine Jahresanfangs-Tage. Hat er aber, und winkt deshalb müde ab.

Weil indes dieser Mensch nicht der einzige mit Winterdepression ist, hat der liebe Gott erlaubt, dass nördlich der Lahn-Mosel-Linie der Karneval und südlich davon die Fastnacht erfunden werde. Oder war´s umgekehrt? Nicht-Narren sollten vor Beginn der heißen Sessionsphase noch mal nachschlagen, denn das falsche Wort kann einen in Mainz mächtig in die Bredouille bringen. Kölsche Jecke sind dem Vernehmen nach da etwas laxer. Und bei uns hier daheim, also gewissermaßen im Grenzland zwischen Karnevals-Republik und Fastnachts-Reich? Schnurzpiepegal! Wir nehmen von allem das Beste und feiern zur Not alle beiden Feste. Walter nickt wohlwollend: „Macht das man.“  Dann wird er wie jedes Jahr am Schwerdonnerstag untertauchen – um am Aschermittwoch endlich wieder quietschvergnügt und nun voll der Frühlingsgefühle auf der Matte zu stehen.  

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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