Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Wie rassistisch bin ich (noch)?

ape. Die Helden meiner späten Kindheit und nachherigen Jugend waren weit überwiegend Nichtweiße. Angefangen bei Jim Knopf über sämtliche Indianer-Häuptlinge und -Stämme des Wilden Westens, die Boxer- und Herero-Aufständischen, die Befreiungsorganisationen von Angola. Mozambique, Guinea-Bissau, Zimbabwe … und natürlich den ANC um Mandela in Südafrika bis hin zum Vietcong und Ho Chi Minh in Südostasien oder Angela Davis, Bobby Seal, die Black Panther in den USA.

Diese Bestandsaufnahme schoss mir heute in der Früh durch den Kopf bei der Lektüre des dreiseitigen Artikels im Dossier der neuen „Zeit“ (Nr. 30/ 16. Juli). Der steht unter der Überschrift „Wie rassistisch sind Sie?“ und geht u.a. der Frage nach, wie stark unbewusster Rassismus auch bei Menschen anzutreffen ist, die (wie ich) der festen rationalen Überzeugung sind, keine Vorurteile etwa gegen Schwarze zu haben. 73% der weißen Amerikaner und 80% der weißen Deutschen sagen das von sich. Aber psychologische Tests zeigen, so der Artikel, dass vier Fünftel davon Schwarze vorzugsweise mit negativen Begriffen in Verbindung bringen, wenn sie spontan sehr schnell entscheiden müssen.

Unter solchen Testbedingungen übernimmt jener uralte Gefahrenmechanismus im Hirn das Urteilen, der jenseits der Ratio in Millisekunden entscheidet: gefährlich oder nicht, Freund oder Feind. Interessanterweise erhellt die Forschung, dass hinsichtlich der Rassismusfrage Häufigkeit und Art des Umgangs mit andersfarbigen Menschen die unbewussten Schnellurteile variieren lassen. Wer in einer weiß dominierten Umgebung aufgewachsen ist, deren Kultur People of Color als niedlich, unterentwickelt, unbefähigt oder gar gefährlich, böse betrachtet, dessen Unterbewusstsein tendiert viel stärker zu rassistischen Schnellschüssen – und die Ratio hat einige Mühe sich über solche Gefühlsmechanismen hinwegzusetzen.

Frage also an mich selbst: Wieviel Rassismus rumort noch in den Tiefen meines eigenen Hirns – jetzt, da ich dank der Wissenschaft weiß, dass die Menschen trotz unterschiedlichen Aussehens genetisch zu 99,9% gleich sind, und da ich dank meiner vielen nichtweißen Jugendhelden ein eigentlich reihum eher positiv geprägtes Verhältnis zu sämtlichen People of Color haben sollte??? Antwort kurzum: Ich weiß es nicht, doch bleibt meine Ratio misstrauisch gegenüber den unbekannten Abgründen meines Unterbewussten.

Andreas Pecht

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