Allesfresser, Vegetarier, Veganer und Co.

Monatskolumne "Quergedanken" Nr. 189

Reden wir mal übers Essen. Davon sind alle betroffen, hat jeder Ahnung. Denn alle müssen essen – egal wie das Wetter ist und was sich ringsumher mehr oder minder Dramatisches abspielt. Ein Entschluss Walters brachte das Thema neulich bei uns aufs Tapet. Als wir nach geraumer Zeit mal wieder zusammen durch den Wald stapften, bemerkte der Freund beiläufig: „Ich bin seit drei Wochen Vegetarier.“ Hoppla! Staunen meinerseits, schließlich ließ der Kerl sich über Jahrzehnte zu Schnitzel und Steak, Braten, Gulasch und meinem Weihnachts-Truthahn nie lange bitten.

Nein, ich bohrte nicht nach seinen Beweggründen. Nach unzähligen Stunden Diskussion über Elend, Gefahren, Schande von industrieller Massentierhaltung und Fleischverramschung sowie über das ökologische Desaster der maßlosen Fleischfresserei weltweit, war Walter einfach reif für solch einen Schritt. Er ist halt der Typ für derartige persönliche Radikalkonsequenzen. Da kann, will ich auch nicht mithalten –  obgleich ich jedem, der zum Vegetarismus und Veganismus wechselt, mit Freuden Beifall spende.

Mein Bemühen als bekennender Allesfresser gilt seit Jahren der quantitativen Verminderung des eigenen Fleischkonsums bei zugleich weitgehendem Umstieg auf  Bio-Fleischwaren. Das Ergebnis ist recht ordentlich: Verglichen mit den 1990ern, kommen bei mir heute zwei Drittel weniger, dafür qualitativ hochwertiges Fleisch aus, sagen wir: respektvoller Tierhaltung auf den Tisch. Viel weniger, aber besser: Im Geldbeutel macht das kaum einen Unterschied, in der Ökobilanz jedoch einen beträchtlichen. Was ich den Freund indes unbedingt fragen musste: Plagt dich denn bei der neuen Fleischabstinenz nicht die Lust auf Fleisch? Es folgte eine jener typischen, wunderbaren Walter-Antworten:

„Mögen sich im deutschen Sprachbild die Begriffe Lust auf Fleisch und Fleischeslust auch noch so nahestehen, es sind zwei völlig verschiedene Lüste. Die Fleischeslust wirst du qua Natur nie los, der sexuelle Trieb zwickt und zwackt die meisten Männer wie Frauen ihr Lebtag, mehr oder minder heftig. Ob man ihn zügelt, kultiviert und einhegt auf gegenseitiges Wollen, ist letztlich eine Frage des Willens, der Willenskraft. Die Lust auf Fleisch ist hingegen eine Frage nur des Wollens; es gibt keinen menschlichen Trieb, Fleisch essen zu müssen. Ich komm’ also klar. Zumal wir in den letzten Jahren ja alles munter probierten, was unsere vegetarischen und verganen Freunde und Verwandte auffuhren – und dabei auch allerhand Leckeres entdeckt haben.“  

So wenig ich auf des Freundes Beweggründe insistierte, so wenig versucht er, mich zu missionieren. Friedliche Koexistenz der Ernährungsweisen herrscht schon seit einigen Jahren auch an den meisten Gartengrills unserer Bekanntenkreise: Auf jedem Rost ist selbstverständlich ein Bereich reserviert für Grillkäse, Tofuwürstchen, Schmorgemüse und neuerdings auch Fleischersatzprodukte. Überhaupt: Mir ist seitens der Vegetarier und Veganer Missionierungseifer wesentlich seltener begegnet als abfällige Witzelei und versuchte Lächerlichmachung der sich vegetarisch/vegan Ernährenden durch Fleischtraditionalisten in Fastnachts-Bütten und auf Comedy-Bühnen. Das sage ich als bekennender Allesfresser – und ärgere mich darüber, dass mancher Allesfresser offenbar allein schon in dem Umstand, dass jemand aus guten Gründen kein Fleisch essen will, einen Generalangriff auf seine überkommene Lebensart sieht.

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