Amerikansche Bevölkerung: Abgrundtief in zwei Hälften gespalten

Zwischenruf am zweiten Morgen nach den US-Wahlen

ape. Zweiter Morgen "danach" (Donnerstag 5.11.): Die Sache ist noch immer nicht entschieden. Stand 6.49 Uhr MEZ: Biden 253, Trump 213. Letzterer sieht "böse Magie" am Werk, die an entscheidenden Stellen "plötzlich" seinen Vorsprung "auf geheimnisvolle Art verschwinden lässt". Trumps Unterstellung: Wahlbetrug. Tatsächlich sind Briefwähler die "Magier". Davon gibt es diesmal exorbitant viele, und sie haben, wie sich Zug um Zug herausstellt, mit teils exorbitanten Mehrheiten für die Demokraten gestimmt. Warum ist das so? Weil dieser Teil der Amerikaner ernst nimmt, was Trump ignoriert und verniedlicht: 70 000 bis 100 000 Covid19-Neuinfektionen täglich in den USA und  234 000 Corona-Tote dort bisher. Also blieben vor allem Wähler der Demokraten zu Hause und stimmten per Brief ab. Die Auszählung dieser großen Stimmkontingente dauert vielerorts etwas länger, woraus sich ganz profan ergibt, was Trump "böse Magie" nennt.

Ein Ergebnis steht jedoch schon zweifelsfrei fest, das aber eigentlich so furchtbar neu auch wieder nicht ist: DEN Amerikaner, DIE Amis gibt es nicht, gab es nie. Vielmehr haben wir es mit einer bis in die fundamentalsten Weltsichten und Kulturverständnisse abgrundtief gespaltenen Population zu tun. In den 1960er/70ern wurde meine eigene politische Sozialisation nicht zuletzt maßgeblich geprägt durch amerikanische Einflüsse:  Bürgerrechtsbewegung, Black-Panther-Bewegung, Hippie-Bewegung, Protest hunderttausender Amerikaner gegen den Vietnamkrieg, symbolisch um Woodstock gruppierte Revolution der Pop-Musik oder dem mit Wounded Knee 1973 verbundenen Aufgehren von Amerikas Indigenen.

Das waren "meine USA" - die in schärfstem Gegensatz zu den reaktionär-imperialen USA etwa eines McCarthy, Nixon, Johnson und Co. standen. Daran hat sich im Grunde bis heute wenig geändert. Die USA sind einerseits ein Zentrum moderner Wissenschaft und multikultureller,  weltoffener Urbanität. Andererseits - um nur ein Beispiel schier unüberwindbarer Klüfte zu nennen - glauben 40 % dort fest daran, dass Gott die natürliche Welt und ihre Bewohner vor rund 6000 Jahren an 7 Tagen genauso geschaffen hat, wie sie heute sind. Jede Menge solch abgrundtiefer Gegensätze gibt es auch bei uns in Deutschland. Der Unterschied zu den USA ist heute jedoch (noch): Hierzulande machen die fundamentalistischen,  realitätsfremden, illiberalen Kräfte eine Minderheit aus und nicht nahezu die Hälfte der Bevölkerung.

Andreas Pecht

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