Eine streitbare Freundschaft

Gerd Neuwirth über unsere besondere Beziehung

Den nachfolgenden Text hat Gerd Neuwirth, einer meiner ältesten Freunde und frühen Kollegen in der mittelrheinischen Wahlheimat, geschrieben und vorgestern im Rahmen einer Bücher-Challange auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht. Von meiner Ruhestandsmitteilung aufgeschreckt und angestachelt, erinnert sich Gerd an Anfänge und Werden unserer ebenso getreulichen wie produktiv streitbaren Beziehung. Da ist allerhand sehr gut getroffen und berührend bis knuffig ausgedrückt, was zum Kern dieser besonderen Freundschaft zwischen dem Alten und dem noch nicht ganz so Alten gehört. Danke Gerd.

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gnw "Tag 3: Andreas Pecht
Es mutet seltsam an. Außer Dienst. Rentner. Ruhestand. Das klingt bei ihm alles falsch. Ist es auch.
Mehr als 25 Jahre halten wenige Freundschaften. Egon Bahr sagte mal: „Freunde sucht man nicht. Freunde findet man.“ Dabei kann auch die Literatur helfen. Hier vor allem: Bühnenliteratur. Unsere Freundschaft begann bei der RZ. Ich schrieb von Anfang an viel. Hin und wieder auch für die überregionale Kultur. Theater- und Bücherkritiken. Und fast immer gab es Diskussionen. Ihn interessierte nicht mein Werdegang, nicht meine Erfahrung. Er knechtete mich mit meinen Texten. „Was heißt das? Was meinst Du damit? Woran machst Du das fest?“ Er war darin, freundlich ausgedrückt, bis zum Erbrechen penetrant. Mein Urteil stellte er nie in Frage. Aber er forderte eine klare Begründung. So lernt man, präziser zu formulieren.

Und wenn er fragte: „Ist Dir klar, dass das Ärger gibt?“, dann hieß das nicht, den Kopf einzuziehen oder „gefälliger“ zu schreiben. Es ging um Haltung. Aufrecht. Selbst wenn man dir das um die Ohren haut. Oder gerade dann. Ich weiß noch, wie mir in der Ära Delnon das Herz klopfte, als Kushners „Angels in America“ im Stadttheater aufgeführt wurde. Homosexualität auf der Bühne. Damals ein Skandal. Das Publikum, das in der Ära Houska gern das brave weiße Rössl traben sah, verließ in Scharen, laut fluchend, die Plätze. Ich kam in die Redaktion, schilderte begeistert wie aufgeregt, was ich gesehen hatte. Andreas lachte schallend und meinte: „Fang an zu schreiben. Du bekommst Platz.“ Dass die Leserbriefschreiber unsere Begeisterung nicht teilten, war klar.

Es mutet seltsam an. In meinem Volontariat begannen wir ausführlich zu streiten. Ich war viel in der Zentrale der RZ. Vor allem in den Nachrichten. Wir stritten auf dem Flur bei einer Zigarette, bei den Konferenzen. Kultur. Aktuelles. Alles. Streitkultur? Firlefanz! Streiten. Auch laut. Aber in der Sache. Für mich logisch: Ich wollte auch - wenigstens kurz - in der Kultur volontieren. Wolfgang Kröner war damals dort Chef. Uns verband wenig, nur eine gegenseitige Antipathie. Wir schätzten, aber mochten einander nicht. Sein Urlaub kam gerade recht - und ich bei Andreas einen Crashkurs in Bühnenliteratur. Und ein ganz anderes Verhältnis zu ihr.

Ein Roman löst im Kopf des Lesers unmittelbar die Bilder aus, die er für sich interpretiert. Im Theater stehen zwischen der Vorlage und dem Zuschauer die Regie, das Bühnenbild, die Schauspieler. Eine ganze Reihe von Scharnieren, die unterschiedlichste Türen öffnen können. Oder schließen. Ich las viele Stücke neu, auch solche, die mir in der Schule vergällt wurden. Ich las Simhandls Theatergeschichte, in Hensels „Spielpan“. Ich hatte ein schier zärtliches Gefühl, wenn ich Erich Frieds Übersetzungen von Shakespeare, auch im Vergleich zu Schlegel/Tieck las. Ich erarbeitete mir eine Grundlage. Klein, sehr klein im Vergleich zu Andreasˋ Fundus und Erfahrung. Er diskutierte mit mir (wie auch mit allen anderen), aber nie von oben herab. „Unser Lehrer Dr. Pecht“ nannten wir ihn zwar spöttelnd, der ja selbst gelernter Pädagoge ist, und in Anlehnung an die Fernsehserie mit Atzorn, wenn er zum Dozieren in der Raucherecke anhob. Darin hat er Ausdauer. Wenn er grantig ist, kann er austeilen, auch kräftig. Aber er kann auch einstecken. Aufgrund seines Freundeskreises auch dies kräftig.

Es gab gemeinsame Theaterbesuche. Anfangs war ich verstört, wie konsequent er Applaus auch verweigern kann. „Wenn es nicht gut ist, gibt es auch nix zu applaudieren.“ Die Stunde danach hatte intime Züge. Keinerlei laute Diskussion. Es ging um Anmutungen. Was wirkte? Wodurch gewann es seine Wirkung? Was empfanden wir als misslungen? Und warum? Manchmal kleinste Details, die etwas ausgelöst hatten. Und die Momente, die jeder Kritiker braucht - für den Einstieg in den Text.

Das Theater ist bei unseren Disputen längst in den Hintergrund gerückt. Literatur? Bisweilen. Da finden sich große Schnittpunkte wie Philip Roth und die Kuriosität, dass wir beide dasselbe Buch für den „Koblenzer Kanon der Literatur“ auswählten, ohne zu wissen, dass der andere auch dabei ist. Herausgekommen sind zwei vollkommen unterschiedliche Stücke. Wir mögen die politischen Krimis von Wolfgang Schorlau. Und nur er mag Fantasyliteratur (worüber Ruth Duchstein und ich einmal synchron die Nase rümpften und den Kopf schüttelten, als er gleich einen ganzen Stapel davon erwarb).

Jetzt also Rentner. So oft wir in vergangenen Jahren von dieser absehbaren Zäsur sprachen, so mutet es nun seltsam an. Und jetzt? Andreas´ Freund Walter, aus den Quergedanken wohlbekannt und mir ans Herz gewachsen wie der Alte selbst, wischt meine Anmutung mit Verve beiseite: „Schwätz net! Es bleibt die Freundschaft, es bleiben die Wirtshausrunden und durchzechten Nächte, wir werden weiter die Welt retten, die Themen werden weiterhin von Kuchen backen bis Arschbacken reichen. Er wird schwadronieren bis zum letzten Atemzug und uns persönlich oder anderen auf diesem Fazzebuck auf die Nerven gehen. Der einzige Unterschied: Dafür hat er jetzt noch mehr Zeit.“ Nun denn: Vorhang auf für des Dramas nächsten Akt." (Gerd Neuwirth)

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