Thema Wissenschaft / Bildung
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2012-03-21 Serie "Wissen":

Folge 37
 

Max Webers etwas anderer Blick
auf den Kapitalismus

 
ana/ape. Vor 100 Jahren beschrieb Max Weber das Verhältnis von Protestantismus und Kapitalismus. In der aktuellen Finanzkrise sind die Thesen des ersten deutschen Soziologen so aktuell wie lange nicht.


Arbeiten, sparen und das Vergnügen auf später verlegen: So lautet der Leitsatz der protestantischen Ethik, die der deutsche Denker Max Weber  (1864-1920) als Grundlage des Kapitalismus ausmachte. Vor einem Jahrhundert stellte er seine berühmte These auf, nach der es einen Zusammenhang zwischen Protestantismus und wirtschaftlichen Erfolg gibt. In seinem Werk „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ beschreibt er, wie die verschiedenen Konfessionen, die aus der Reformation hervorgegangen sind, zu einem höheren Bildungsniveau und zum wirtschaftlich-nüchternen Denken beigetragen haben.

Anfang des 20. Jahrhunderts veröffentlichte Max Weber diesen ersten Text zur Rolle des Protestantismus bei der Herausbildung des modernen Kapitalismus. Seine These war neu, war kühn: Sie schuf erstmals einen Zusammenhang zwischen Religion, Kultur und Ökonomie. In der „Protestantischen Ethik“ erläutert Weber, wie sich radikale Protestanten des 16. und 17. Jahrhunderts – insbesondere die Calvinisten – auf der Suche nach Zeichen Gottes für ihre Erlösung von der ewigen Verdammnis begaben. Wie sie dabei eine eigene Welt aus Verhaltensweisen und Glaubensinhalten schufen, die sich allmählich in das weiter entwickelte, was wir heute „modernen Kapitalismus“ nennen.

Doch zunächst: Wer war Max Weber? Er war der Spross einer reichen Kaufmannselite, geboren 1864 in Zeitalter der industriellen Revolution, an der Schwelle des Übergangs zu einem neuen Wirtschaftszeitalter. Webers Vater war Jurist und erfolgreicher Berufspolitiker, seine Mutter eine vermögende Dame aus der guten Gesellschaft. Dank seiner Herkunft war Bildung für den jungen Mann eine Selbstverständlichkeit: Mit 18 Jahren begann Weber ein Studium der Jura, Ökonomie, Geschichte und Philosophie, mit 25 promovierte er in Jura, drei Jahre später folgte die Habilitation. Mit 32 Jahren nahm er den Ruf auf einen Lehrstuhl an der Universität Heidelberg an.

Eine steile Karriere, die mit einem Nervenleiden endete. Wenige Jahre nach dem Gang nach Heidelberg verließ er die Universitätslaufbahn aus gesundheitlichen Gründen. Das beginnende 20. Jahrhundert erlebte er als Privatgelehrter. Und als solcher begab er sich auf die Spur des sozialen Handelns: Weber wurde zum Mitbegründer der deutschen Soziologie. Diese neue Wissenschaft sollte soziales Handeln „deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und in seinen Wirkungen ursächlich erklären“.

Schon während seines Studiums der Staatswissenschaften hatte Weber sich wissenschaftlich mit den Folgen des beginnenden Kapitalismus befasst. Nun wandte er sich den Ursprüngen des Kapitalismus zu. Er untersuchte die Gesellschaftsgeschichte der abendländischen Moderne auf der Suche nach einer Antwort für folgende Frage: Warum war es nur im Westen zur industriellen Revolution und Entstehung des Kapitalismus gekommen? Und wie entstand diese besondere Vermischung von Kapitalismus, Demokratie und Individualismus, die so typisch ist für die westliche Gesellschaft? Es ging Weber dabei um die okzidentale Moderne, ihre charakteristische Eigenart und historische Einzigartigkeit.

In seinen Aufsätzen unterschied Weber mehrere historische Erscheinungsformen von Kapitalismus. Da war für ihn zum einen der Raubkapitalismus: Er zeichne sich dadurch aus, dass in ihm Reichtümer durch Krieg, Plünderungen und andere abenteuerlichen Unternehmungen erworben werden. Anders der Pariakapitalismus: Er  werde bestimmt durch Handelsaktivitäten, ganz besonders Geldverleih, die von sozialen Gruppen durchgeführt werden, die aus der Gesellschaft ausgeschlossen sind – Weber sah vor allem die Juden als typische Träger des Pariakapitalismus an.

Der traditionelle Kapitalismus dagegen kennzeichnete für Weber Unternehmungen in großem Stil, wie es sie in allen Zivilisationen von frühester Zeit an gibt. Diese Unternehmungen richteten sich für gewöhnlich auf spezifische und begrenzte Ziele und nicht auf die kontinuierliche Anhäufung von Reichtum und Gewinn. Wieder anders der rationale Kapitalismus: Er, so meinte Weber, sei die Form der Wirtschaftstätigkeit, die abgestimmt ist auf einen regulären Markt, die Buchhaltung benutzt, um strenge Kalkulierbarkeit zu sichern und die auf die systematische Erzielung von Profit mit Hilfe legaler Mittel ausgerichtet ist. Vor allem aber brauche der rationale Kapitalismus den Einsatz von formal freier Arbeit und damit die Schaffung einer proletarischen Klasse. Es sei diese Spielart von Kapitalismus, die gleichbedeutend ist mit dem modernen Kapitalismus.
 
In unserem Zusammenhang waren für ihn vor allem die geistigen Vorbedingungen des modernen Kapitalismus von Interesse, also der Ursprung des kapitalistischen Geistes. In seinen Studien zu den Weltreligionen versuchte er zu zeigen, auf welche Weise diese Glaubenssysteme Hindernisse darstellen für das Entstehen eines rationalen ökonomischen Verhaltens. Hinduismus, Buddhismus, Islam und mittelalterlicher Katholizismus, so Weber, seien alles Religionen, die in unterschiedlicher Weise von magischen Überzeugungen und Ritualen durchzogen sind, die einem rationalen ökonomischen Verhalten zuwiderlaufen. Der Calvinismus und seine Ableger stellten demgegenüber eine bemerkenswerte Ausnahme dar. Es handele sich um die praktisch einzige Religion, in der Magie und andere Hindernisse für den kapitalistischen Geist keine Rolle spielten. Weber hat dafür das Wort geprägt von der „Entzauberung der Welt durch den Protestantismus.“
 
Den Kern des Kapitalismus meinte er in der calvinistischen Prädestinationslehre zu erkennen – jenem Glauben, dass Gott über das Schicksal jeder einzelnen Person im Jenseits schon entschieden habe. Bereits zum Zeitpunkt der Geburt liege demnach für strenggläubige Calvinisten fest, ob ein Mensch dereinst Erlösung findet oder der ewigen Verdammnis anheim fällt.

Weber nannte diese Lehre eine „pathetische Unmenschlichkeit“. Um der „Erlösungsangst“ zu entkommen, so vermutete er, versuchte jeder Gläubige sich selbst und die anderen davon zu überzeugen, dass er zu den Auserwählten gehöre. Sichtbares Zeichen dafür war Arbeit, die durch Erfolge belohnt wurde – Besitz, Macht, Reichtum. Die Vorstellung, dass sich die göttliche Gnade bereits zu Lebzeiten am wirtschaftlichen Erfolg eines Menschen ablesen lässt – dieses Denken  hat Weber als den Keim des Kapitalismus gesehen. Entstanden war eine Wechselbeziehung von Arbeit, Erfolg und Erlösung, die sich vom Glauben absonderte und kulturell verselbstständigte. Anders gesagt: Man muss kein strenger Protestant sein, kann aber de facto doch der calvinistischen Arbeitsethik anhängen.

Max Weber wurde nur 56 Jahre alt, starb 1920 an einer Folge der Spanischen Grippe. Seine Thesen über den Zusammenhang von Protestantismus und beginnendem Kapitalismus  stießen seither auf Zustimmung, aber auch auf viel Kritik. Einer der Hauptvorwürfe ist, Weber habe mit seinen Arbeiten eine Gegenposition zum materialistischen Geschichtsbild von Karl Marx entwickelt. Der Soziologe war jedoch weder ein Marx-Gegner noch ein Anti-Materialist. Seine Ideen sind vielmehr als Ergänzung zu Marx’ Arbeiten zu sehen. Während der Autor des Kommunistischen Manifests aber den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Zukunft des Kapitalismus legte, war Weber vor allem an dessen Herkunft interessiert. Heute gilt Max Weber als ein Klassiker der deutschen Soziologe und zählt etwa mit seinen Definitionen zu Herrschaft und Macht zu den am häufigsten zitierten Wissenschaftlern seines Fachs.  


Zusatzinfo

Starke Protestanten: Die Reformation wirke bis heute nach - auch im wirtschaftlichen Sinne, meint Sascha O. Becker von der University of Warwicky. Er hat 2011 eine Studie vorgelegt, der zufolge das Missverhältnis zwischen protestantischer Arbeitsmoral und dem früheren Bildungsrückstand in katholischen Regionen für die aktuelle europäische Finanzkrise mitverantwortlich sein könnte. Demnach können die überwiegend protestantischen Länder Nordeuropas besser mit Finanzen umgehen als die überwiegend katholischen südeuropäischen Länder. In Deutschland, so Becker, investierten Protestanten im Durchschnitt ein Jahr mehr in die eigene Ausbildung/Bildung und hätten ein um fünf Prozent höheres Einkommen als Katholiken.

Politik als Beruf: Im Januar des Jahres 1919 sprach Max Weber auf Einladung einer Studentengruppe in einer Münchner Buchhandlung. Er hatte lediglich ein paar Stichwortzettel als Unterlage für seinen Vortrag dabei, aus dem später ein Büchlein wurde: "Politik als Beruf" ist Webers Vermächtnis an kommende Generationen. Berühmt geworden sind folgende Zitate des Wissenschaftlers: "Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich." Und: "Nur wer sicher ist, dass er nicht daran zerbricht, wenn die Welt, von seinem Standpunkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will, (...) nur der hat den ,Beruf' zur Politik."


Lesen Sie in Folge 38:
Die Väter der technischen Zukunft. Watt, Edison und Co.


                                                    ***
 

Impressum: Der obige Haupttext entstand in Anlehnung an einen Vortrag, den Walter Zitterbarth im Rahmen der Akademie der Marienberger Seminare gehalten hat. Die Textbearbeitung für den Abdruck besorgten Andrea Mertes und Andreas Pecht. Für den Inhalt verantwortlich: Marienberger Seminare e.V. 

Der 80-minütige Originalvortrag ist als Audio-CD mit bebildertem

Begleitheft zu beziehen bei Marienberger Seminare e.V.,

Tel. 02661/6702.

Weitere Infos: >> www.marienberger-akademie.de

Die Reihe „Wissen – Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte“ ist eine Kooperation zwischen Rhein-Zeitung und Marienberger Seminare e.V., sie wird gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz.


(Erstabdruck 11./12. Woche im März 2012)

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Bisher erschienene Folgen:

2011-04-02 Prolog/Einführung:
Eine Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte

2011-04-02a Folge 1: Mensch zwischen Natur und Kultur

2011-04-23 Folge 2: Die Menschen werden sesshaft

2011-04-30 Folge 3: Ein etwas anderer Blick auf Familie

2011-05-07 Folge 4: Abschied vom magischen Zeitalter

2011-05-14 Folge 5: Die Wurzeln des Abendlandes

2011-05-21 Folge 6: Wie die Demokratie nach Europa kam

2011-05-28 Folge 7: Rom und die Grenzen des Wachstums

2011-06-25 Folge 8: Wie das Denken sich selbst entdeckte

2011-07-02 Folge 9: Die Vordenker aus Griechenland

2011-07-09 Folge 10: Vorhang auf für das antike Theater

2011-07-25 Folge 11: Ursprünge der abendländischen Musik

2011-07-30 Folge 12:  Antike Naturwissenschaft

2011-08-07 Folge 13: Antike Architektur

2011-08-20a Folge 14: Bildende Kunst der Antike

2011-08-27a Folge 15: Kindertage des Christentums

2011-09-30 Folge 16: Kriegszüge im Zeichen des Kreuzes

2011-10-24b Folge 17: Romanik und Gotik

2011-11-07 Folge 18: Mittelalterliche Städtebildung

2011-11-15 Folge 19: Das seltsame Ideal der "hohen Minne"

2011-11-24 Folge 20: Eine neue Macht erwacht - die Liebe

2011-11-24a Folge 21: Mainzer Drucker verändert die Welt

2011-12-08 Folge 22: Die Erde dreht sich um die Sonne

2011-12-15 Folge 23: "Moderne" Naturwissenschaft beginnt

2011-12-15a Folge 24: Die Renaissance

2011-12-22b Folge 25: Luther und die Reformation

2012-01-02a Folge 26: Calvinismus und Kapital

2012-01-05 Folge 27: Der Dreißigjährige Krieg

2012-01-12 Folge 28: Die Geburt der Oper im Barock

2012-01-18 Folge 29: Die Aufklärung

2012-01-24a Folge 30: Immanuel Kant

2012-02-05 Folge 31: Die Französische Revolution

2012-02-11 Folge 32: Preußens Revolution von oben

2012-02-15 Folge 33: Die Romantik

2012-02-27b Folge 34: Die Musik der Romantik

2012-02-29a Folge 35: Gottes Werk und Darwins Beitrag

2012-03-14 Folge 36: Proletarier aller Länder vereinigt euch! 


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