Thema Wissenschaft / Bildung
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2012-03-14 Serie "Wissen":

Folge 36
 

Proletarier aller Länder vereinigt euch!

 
ana/ape. Im 18./19. Jahrhundert begann die Industrialisierung. Mit ihr entstanden neue, scharfe Sozialkonflikte, in denen sozialistische Gedanken bald eine große Rolle spielten. Einer der wichtigsten Vordenker war Karl Marx.


Der Aufbau industrieller Großproduktion verlangte die Konzentration bedeutender Finanzmittel und eine gewaltige Zahl verfügbarer, billiger Arbeitskräfte. Heerscharen mittelloser Menschen wanderten ab Mitte des 18. Jahrhunderts in die Städte. Dort versprachen ihnen die neuen Fabriken einen Broterwerb, den sie auf dem Land nicht mehr fanden. Die damals vorherrschende Ideologie des Liberalismus mit ihrer einseitigen Betonung von bürgerlicher Freiheit und Eigentum kannte keine Fürsorge für den Schwachen. Hungerlöhne zwangen die Arbeiter zu langen, verzehrenden Arbeitszeiten. Sonntags-, Frauen- und Kinderarbeit waren die Regel. Solche Missstände führten rasch zu sozialen Spannungen, auch zur Herausbildung von Arbeiterorganisationen. Und sie lieferten Impulse für sozialreformerische wie frühsozialistische Denkansätze. Eine der wichtigsten und in der historischen Folge wirkmächtigsten Theorien kam von Karl Marx.

Als 1989 das Sowjetreich zerbrach dachte man, damit sei auch das Gespenst des Marxismus endgültig vertrieben. Doch wurde mit dem Scheitern des Sowjetsystems tatsächlich Marx ad absurdum geführt? Oder landete auf dem Kehrrichthaufen der Geschichte nicht vielmehr eine abstoßend autoritäre Staatsform, die sich womöglich zu Unrecht auf den 1818 in Trier geborenen Philosophen, Ökonomen und Journalisten berief?

Wegen regierungskritischer Artikel aus Deutschland ausgewiesen, saß der 27-jährige Journalist Karl Marx 1845 in Brüssel fest. Dort schrieb er in sein Notizbuch den Satz: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern.“ Diese Aussage fasst das Ziel des Marx'schen Denkens und Strebens zusammen. Doch um verändern zu können, muss man verstehen, womit man es zu tun hat. Weshalb die systematische Analyse der kapitalistischen Wirtschaftsweise ebenso zu einem zentralen Gegenstand seines Schaffens wurde wie die Durchleuchtung der Gesetzmäßigkeiten, denen die Geschichte gehorcht.

Dabei gelangte Marx zum Bild einer Welt, in der der kapitalistische Markt in jede Pore der Gesellschaft eindringt und den ökonomischen Wert von allem und jedem zum einzig gültigen Maßstab macht. Er sprach von der expandierenden Maschinenwelt, der eigentlich die Kraft innewohne, die menschliche Arbeit zu erleichtern und zu verkürzen. In ihrer kapitalistischen Anwendung aber führe die Maschinerie einerseits zwar zu gewaltigen Fortschritten gegenüber allen bisherigen Gesellschaften. Andererseits aber habe sie systembedingt Elend, Überarbeitung, Ausbeutung, Entfremdung zur Folge aufseiten des besitzlosen, lohnabhängigen Proletariats.

Das Marx'sche Denken nahm seinen Ausgangspunkt bei der Religionskritik des Ludwig Feuerbach (1804 – 1872). Laut Feuerbach hatten die Menschen Gott nach ihrem eigenen Bilde geschaffen und verehrten nun ihre ideellen, edleren Kräfte in einem fremden Wesen. Warum? Nach Marx deshalb, weil ihr diesseitiges eigenes Leben so armselig verlaufe. Das ist der Kontext für seine berühmte Bemerkung, Religion sei das Opium des Volkes. Einfach nur dieses Opium zu entfernen, würde den Menschen daher nicht helfen. Vielmehr müssten die üblen Bedingungen beseitigt werden, die dieses Opium nötig machen.

Marx war der Ansicht, dass vor allem die materiellen Verhältnisse das Bewusstsein der Menschen bestimmen. Die wirtschaftlichen Kräfte in einer Gesellschaft seien es primär, die Veränderungen in allen Bereichen herbeiführen und so die Geschichte antreiben. Die materiellen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse bezeichnete er als die Basis der Gesellschaft; ihre politischen Institutionen und Gesetze, ihre Religion, Moral, Kunst, Philosophie und Wissenschaft nannte er Überbau.

Alle Geschichte war für Marx eine Geschichte von Klassenkämpfen, d.h. von Auseinandersetzungen darüber, wem die Produktionsmittel gehören sollen, zu wessen Nutzen sie wie verwendet werden. Und weil die jeweilige Oberklasse ihre Vorherrschaft niemals freiwillig aufgebe, könne nur eine Revolution grundlegende Veränderung herbeigeführt werden.
Im Prinzip gilt bei Marx Arbeit als etwas Positives, weil die Möglichkeiten für Erkenntnis und Schöpferkraft des Menschen eng mit dessen Arbeit zusammenhängen. Doch im kapitalistischen System arbeitet der Arbeiter für einen anderen: Der einzig aus menschlicher Arbeit entstehende Mehrwert geht zum größten Teil an die Kapitaleigentümer. Hinzu kommt: Durch die Zerstückelung der Tätigkeiten im industriellen Produktionsprozess wird der Proletarier, anders als der traditionelle Handwerker, zum bloßen Anhängsel der Maschinerie. Er wird seiner Arbeit entfremdet – und damit auch sich selbst.

Aus seiner Analyse der ökonomischen Funktionsmechanismen folgerte Marx, dass der Kapitalismus letztlich ein sich selbst zerstörendes Wirtschaftssystem ist. Dessen Fixierung auf unendliches Wachstum und das freie Spiel der Marktkräfte schließt eine vernünftige Steuerung aus, führt zwangsläufig zu regelmäßig wiederkehrenden (Überproduktions-)Krisen und sinkender Profitrate. Denn die eigentliche Quelle des Profits ist die Arbeiterschaft, und deren Ausbeutung lässt sich nicht beliebig steigern, findet ihre Grenzen in den Grenzen der menschlichen Belastbarkeit.

Mit der Zeit konzentrieren sich die Produktionsmitteln in immer weniger Händen. Die Konkurrenz der dann übrig gebliebenen Großkonzerne auf einem nicht mehr ausdehnungsfähigen Markt hat ständig wachsenden Druck zu Rationalisierung, Senkung von Produktionskosten und Löhnen zur Folge. So werden einerseits immer weniger Arbeitskräfte gebraucht, andererseits verarmen die Arbeiter und können sich nichts mehr kaufen. Wodurch die Nachfrage nach industriellen Produkten sinkt und sich der Verdrängungswettbewerb auf den Märkten weiter verschärft. Marx sah hier einen Teufelskreis, der schließlich das Sterben des Kapitalismus und womöglich einen Rückfall in die Barbarei einläutet – sofern dem nicht eine grundlegende, revolutionäre Veränderung des Systems zuvorkommt.

Viele Voraussagen von Karl Marx sind im Detail nicht eingetroffen. Teils hat er das Beharrungs- und Durchsetzungsvermögen der von ihm selbst herausgearbeiteten Mechanismen unterschätzt: Etwa die Entfaltung der Produktivkräfte durch immer neue Innovationen, die Weiterung der Absatzmärkte durch künstlich erzeugte Bedürfnisse oder die Ausdehnung der menschlichen Belastbarkeit durch neue Arbeitstechniken. Unterschätzt hat er wohl auch, welche Steigerungen der allgemeinen Lebensqualität die „Klassenkämpfe“ in Form gewerkschaftlichen Engagements und als politische Sozialreform dem Kapitalismus über recht lange Zeitphasen abtrotzen können – ohne gleich das ganze System infrage zu stellen.

Indes verstärkt sich gerade angesichts der jüngsten Phase des Kapitalismus der Eindruck, dass Marx in etlichen Grundzügen seiner Analyse womöglich doch richtig lag. Was nun die Alternativen zum Kapitalismus angeht, so werden ihm lauter Erscheinungen des 20. Jahrhunderts angelastet, für die er nichts kann: Stalinismus, Maoismus, UdSSR, DDR... Marx selbst blieb bis zu seinem Tode 1883 in London bei der Skizzierung eines Gesellschaftssmodells für die Zeit nach einer antikapitalistischen Revolution recht vage. Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln hielt er wohl für ebenso notwendig wie bestimmenden Einfluss der arbeitenden Bevölkerung auf die Entwicklung von Wirtschaft und Staat – hin zu einer künftigen Gesellschaft unter der Maxime: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“.


Zusatzinfos

In Trier geboren und aufgewachsen, als Student in Bonn wegen "Tragens eines Säbels" verurteilt, verlobte sich Karl Marx 1836 in Bad Kreuznach mit Jenny von Westphalen. 1842 übernahm er in Köln die Leitung der liberalen Rheinischen Zeitung. Das Blatt musste 1843 sein Erscheinen einstellen, weil Marx wiederholt die Zensurbestimmungen unterlief. Im gleichen Jahr lernte er in Paris Heinrich Heine kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. Während der Revolution 1848/49 engagierte sich Marx in der preußischen Rheinprovinz, gab in Köln die radikale Neue Rheinische Zeitung heraus, die im Mai 1849 verboten wurde. Bald darauf ging Marx von Paris aus nach London ins Exil.

Sie war Ballkönigin von Trier, eine ebenso lebensfrohe wie blitzgescheite und hochgebildete Frau: Jenny von Westphalen - 1814 geboren, ab 1836 sieben Jahre mit Karl Marx verlobt, dann fast vier Jahrzehnte bis zu ihrem Krebstod 1881 mit ihm verheiratet. Sie gebar sieben Kinder, von denen nur drei überlebten. Jenny hielt oft unter schwierigsten finanziellen Bedingungen den Haushalt zusammen, bearbeitete zugleich die Manuskripte ihres Mannes für den Druck. Sie war ihm eine aufopferungsvolle Gefährtin und stand bei Marx\\' Freunden wie Friedrich Engels, Wilhelm Liebknecht oder Heinrich Heine in höchstem Ansehen. Doch glücklich war sie nicht.


Lesen Sie in Folge 37:
Max Webers etwas anderer Blick auf den Kapitalismus

                                               ***

Impressum: Der obige Haupttext entstand in Anlehnung an einen Vortrag, den Walter Zitterbarth im Rahmen der Akademie der Marienberger Seminare gehalten hat. Die Textbearbeitung für den Abdruck besorgten Andrea Mertes und Andreas Pecht. Für den Inhalt verantwortlich: Marienberger Seminare e.V. 

Der 80-minütige Originalvortrag ist als Audio-CD mit bebildertem

Begleitheft zu beziehen bei Marienberger Seminare e.V.,

Tel. 02661/6702.

Weitere Infos: >> www.marienberger-akademie.de

Die Reihe „Wissen – Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte“ ist eine Kooperation zwischen Rhein-Zeitung und Marienberger Seminare e.V., sie wird gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz.


(Erstabdruck 10. Woche im März 2012)

                                                ***

Bisher erschienene Folgen:

2011-04-02 Prolog/Einführung:
Eine Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte

2011-04-02a Folge 1: Mensch zwischen Natur und Kultur

2011-04-23 Folge 2: Die Menschen werden sesshaft

2011-04-30 Folge 3: Ein etwas anderer Blick auf Familie

2011-05-07 Folge 4: Abschied vom magischen Zeitalter

2011-05-14 Folge 5: Die Wurzeln des Abendlandes

2011-05-21 Folge 6: Wie die Demokratie nach Europa kam

2011-05-28 Folge 7: Rom und die Grenzen des Wachstums

2011-06-25 Folge 8: Wie das Denken sich selbst entdeckte

2011-07-02 Folge 9: Die Vordenker aus Griechenland

2011-07-09 Folge 10: Vorhang auf für das antike Theater

2011-07-25 Folge 11: Ursprünge der abendländischen Musik

2011-07-30 Folge 12:  Antike Naturwissenschaft

2011-08-07 Folge 13: Antike Architektur

2011-08-20a Folge 14: Bildende Kunst der Antike

2011-08-27a Folge 15: Kindertage des Christentums

2011-09-30 Folge 16: Kriegszüge im Zeichen des Kreuzes

2011-10-24b Folge 17: Romanik und Gotik

2011-11-07 Folge 18: Mittelalterliche Städtebildung

2011-11-15 Folge 19: Das seltsame Ideal der "hohen Minne"

2011-11-24 Folge 20: Eine neue Macht erwacht - die Liebe

2011-11-24a Folge 21: Mainzer Drucker verändert die Welt

2011-12-08 Folge 22: Die Erde dreht sich um die Sonne

2011-12-15 Folge 23: "Moderne" Naturwissenschaft beginnt

2011-12-15a Folge 24: Die Renaissance

2011-12-22b Folge 25: Luther und die Reformation

2012-01-02a Folge 26: Calvinismus und Kapital

2012-01-05 Folge 27: Der Dreißigjährige Krieg

2012-01-12 Folge 28: Die Geburt der Oper im Barock

2012-01-18 Folge 29: Die Aufklärung

2012-01-24a Folge 30: Immanuel Kant

2012-02-05 Folge 31: Die Französische Revolution

2012-02-11 Folge 32: Preußens Revolution von oben

2012-02-15 Folge 33: Die Romantik

2012-02-27b Folge 34: Die Musik der Romantik

2012-02-29a Folge 35: Gottes Werk und Darwins Beitrag

 
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