Thema Wissenschaft / Bildung
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2011-04-23 Serie "Wissen":

Folge 2
 

Die Menschen werden sesshaft
 
 
ape/ana. Auf unserer Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte gilt heute das Augenmerk einem entscheidenden Wandel im Zusammenleben der frühzeitlichen Menschen: Der neolithischen Revolution – aus kleinen Gruppen von Jägern und Sammlern entwickelten sich sesshafte Gemeinschaften von Bauern und Handwerkern.


Jahrzehntausende hindurch fanden die frühen Menschen Unterkunft nur in Erd- oder Felshöhlen, in einfachsten Unterständen und Zelten aus Tierhaut, Astwerk, Blättern, Gräsern. Sie lebten einzig von dem, was die umgebende Natur ihnen gerade bot: jagbares Wild und wilde Früchte, Wurzeln, Nüsse, Samen. Das Dasein war schwierig und sehr gefährlich in jenen Epochen der Jäger und Sammler, kaum einer von ihnen wurde auch nur 35 Jahre alt. Und jede Höhle, die sie bezogen, war eine Wohnstätte bloß auf Zeit. Sobald die nahen Jagdgründe nichts mehr hergaben oder das Wetter zu schlecht wurde, hieß es: weiterziehen.
   
Diese frühen Gemeinschaften waren klein, umfassten selten mehr als drei bis vier Dutzend Köpfe. Doch sie kannten bereits einfache Formen der Arbeitsteilung. Sache der Männer war die Jagd und gegebenenfalls der Kampf gegen äußere Feinde, seien es Raubtiere oder andere Menschengruppen. Das Sammeln der Früchte fiel in die Zuständigkeit der Frauen. Es gibt freilich Vermutungen, dass an der Jagd auch junge Frauen teilnahmen, und dass beispielsweise innerhalb einer Jagdgruppe die Aufgaben nach Erfahrung und individuellem Geschick verteilt waren.  

Vor 12 000 bis 10 000 Jahren – im sogenannten Neolithikum, der Jungsteinzeit – setzte dann eine Entwicklung ein, die das Leben unserer fernen Vorfahren völlig verändern sollte und zugleich die Grundlage dafür schuf, dass nachher überhaupt Hochkulturen entstehen konnten: Die Menschen wurden sesshaft. Nicht, dass urplötzlich die Idee im Raum gestanden wäre „wir haben jetzt genug vom mühseligen Herumwandern, Jagen und Sammeln“. Auch der Prozess der Sesshaftwerdung erstreckte sich über Jahrtausende, vollzog sich in verschiedenen Weltgegenden auf sehr unterschiedliche Weise und durchaus nicht gleichzeitig. Gemeinschaften von Jägern und Sammlern gab es noch bis in die Neuzeit, vereinzelt bis ins  20. Jahrhundert; man denke an die Indianer Nord- und Südamerikas.  

Die ersten Schritte in Richtung jungsteinzeitlicher Sesshaftigkeit gab es wohl im östlichen Mittelmeerraum, in den Gebieten der heutigen Länder Israel, Palästina, Libanon, Syrien, Irak. Zeitversetzt folgten China, Mittelamerika, Afrika. Was aber bedeutet „Sesshaftigkeit“ eigentlich? Im Zentrum steht die Veränderung der Nahrungsmittelbeschaffung: Weg vom Jagen und Sammeln, hin zur landwirtschaftlichen Produktion, also zu Viehzucht und Ackerbau.

Die Vorteile der Sesshaftigkeit für die Nahrungsversorgung liegen auf der Hand: Mit der Domestizierung – der Verwandlung vormaliger Wildtiere zu Haus- und Nutztieren durch Einhegung und systematische Umzüchtung – wurden die Menschen unabhängig von den Unbilden und Zufällen der Jagd. Nutztiere auf der Weide oder im Stall waren lebende Vorratskammern, zumindest solange genug Futter zur Verfügung stand. Der Ackerbau lieferte Früchte, insbesondere lagerbares Getreide, in bis dahin nicht gekannten Mengen. Automatische Folge davon war ein sprunghaftes Anwachsen der Bevölkerungszahl. 

Mit dem Sesshaftwerden gingen vielerlei Entwicklungen einher. Drei der wichtigsten waren: die Herausbildung fortgeschrittenen Werkzeuges und Hausrates; neue Formen des Wohnens und Zusammenlebens; Ausbreitung und Verfestigung herrschaftlicher Strukturen. Was die Werkzeuge angeht, fallen in diese Epoche der neolithischen oder jungsteinzeitlichen Revolution so außerordentliche Erfindungen wie das erst ungeschliffene, dann geschliffene Steinbeil mit Griff, der Holzpflug, die erste Bohrmaschine, Spindel und Webstuhl, Gefäße aus gebranntem Ton oder das Rad.

Manche dieser Gerätschaften tauchten an weit voneinander entfernten Ecken der Welt fast zeitgleich auf. Das Rad beispielsweise im Alpenvorland, im Kaukasus, im Nahen Osten und am Indus. Natürlich sind das aus heutiger Sicht primitive Gerätschaften. Doch für den damaligen Alltagsnutzen stellten sie eine das Leben völlig verändernde technische Umwälzung dar. Wobei man nicht vergessen sollte: Viele der seinerzeit erstmals genutzten Technikprinzipien sind  Grundlage auch modernster Maschinen geblieben.

Ein ganz wichtiges Merkmal der sich entwickelnden Sesshaftigkeit waren Fortschritte im Bau von Behausungen. Schluss mit Höhlen und Fellzelten. Es entstanden Hütten, Häuser, Gehöfte aus Holz und Lehm, teils aus Lehmziegeln. An süddeutschen Seeufern, aber auch entlang des Yangtse in China wurden auf meterhohen Stelzen Pfahlbauten errichtet. Die Menschen hatten schon zuvor immer in Gemeinschaften gelebt, Einzelgänger oder zu kleine Gruppen konnten  nicht lange überleben. Mit der Sesshaftigkeit wurden die Gemeinschaften größer, entstanden aus Zusammenschlüssen von Haushalten und Großfamilien feste Dörfer und vereinzelt auch erste Städte. 

Bis allerdings die heute übliche Kleinfamilie zur vorherrschenden Lebensform wurde, sollten noch viele Generationen vergehen. Bis auf Weiteres prägten Haushalt, Großfamilie,  Nachbarschaft,  Clan die sesshaft gewordene Ortsgemeinschaft. Onkel, Tanten, Großeltern, Gesellen, Mägde, Knechte gehörten mit zum Haushalt. Solche Formen des Zusammenlebens und -arbeitens in größeren Kollektiven unter einem Dach existierten vor allem bei Landwirtschaft und Handwerk auch in vielen mitteleuropäischen Landstrichen bis ins 19. und teils weit ins 20. Jahrhundert. Im Laufe der Jungsteinzeit schritt zwar die Arbeitsteilung voran, entwickelten sich zusehends Handel und spezialisierte Handwerke. Dennoch mussten die Menschen das zum (Über-)Leben Nötige zum großen Teil noch selbst herstellen. Was spätere Epochen Zug um Zug auslagerten, fand damals noch daheim statt – Krankenversorgung, Altenpflege und Kindererziehung inklusive.     

Es gab höchstwahrscheinlich bereits bei den altsteinzeitlichen Menschengruppen eine Art Rangfolge. Einfache Strukturen der Herrschaft, die vor allem an Kraft, Geschicklichkeit und Klugheit bei der Jagd gebunden waren. Weshalb wohl selten jemand „Chef“ auf Lebenszeit war. Nach dem Soziologen Meinhard Miegel ist Herrschaft ein Ergebnis wechselseitiger Abhängigkeit. Herrschen kann nur, wer seinen Mitmenschen auch etwas zu geben hat: beispielsweise besonderes Talent beim Aufspüren von Wild. In späteren Epochen mögen es Ackerflächen zur Pacht, Vorräte, Kredite, Infrastruktur, militärischer Schutz und andere Dinge sein. Deutlich wird bei fortgeschrittener Herrschaft allerdings auch: Was der Herrscher den Untertanen gibt, hat er ihnen zumeist vorher in dieser oder jener Form genommen. Und leider ist die Geschichte voll von Beispielen, wo den Untertanen wesentlich mehr genommen wurde, als ihnen die Herrscher zurückgaben.

Zurück zu neolithischen Revolution. Mit der Sesshaftigkeit kommt ein für das häusliche wie allgemeine Machtgefüge neuer, bedeutsamer Faktor mit ins Spiel: der Besitz an Grund und Boden sowie bald vielerorts seine Weitergabe entlang der männlichen Erblinie. Der besitzende Mann wird zum Patriarchen, zum „Herr im Haus“, nachher auch zum Herrn der öffentlichen Angelegenheiten.

Und wo bleibt die Frau? Ihre Stellung entwickelt sich von Kultur zu Kultur unterschiedlich. Das bei vielen Naturvölkern durchaus nicht seltene Matriarchat verschwindet zusehends. Überwiegend steht die Frau von da an bis in die Neuzeit hinein unter Herrschaft des Mannes.  Die Rollenverteilung ist klar. Allerdings: Da auch unter den Bedingungen der Sesshaftigkeit ständig hart ums Überleben gerungen werden musste, waren Mann und Frau existenziell aufeinander angewiesen.


Zusatzinfos

Der Begriff "neolithische Revolution" wurde vom Altertumswissenschaftler Vere Gordon Childe 1936 eingeführt. Der Amerikaner benutzte ihn in Analogie zum Begriff der "industriellen Revolution", um den damit verbundenen grundlegenden zivilisatorischen Einschnitt zu charakterisieren. "Neolithische Revolution" bezeichnet den - wohl auch durch Klimaveränderungen ausgelösten - Übergang von der "aneignenden Lebensweise" des Jagens und Sammelns der Alt- und Mittelsteinzeit (Paläo- und Mesolithikum) zur produktiven Wirtschaftsform u.a. von Ackerbau und Viehzucht der Jungsteinzeit (Neolithikum). So populär Childes Begriff seit seiner Einführung geworden ist, bleibt er unter Fachleuten doch umstritten.

Die natürlichen Zyklen
von Saat, Wachstum und Ernte, von Zeugung und Geburt wurden für die jungen Kulturen der Ackerbauern und Viehzüchter zum bestimmenden Faktor. Der beeinflusste auch wesentlich die religiösen Vorstellungen der jungsteinzeitlichen Menschen. Fruchtbarkeitssymbole tauchten überall auf. Von der Verehrung der "Großen Mutter" als fruchtbarer, die Natur durchdringender weiblicher Wesenheit zeugen üppige Frauenstatuetten mit oft überdimensionierten Geschlechtsmerkmalen. Ein weiterer Wesenszug der neuen produktiven Kulturen war Vorratshaltung. Erst lagerten die Menschen Getreide in Erdgruben; ab etwa 6500 vor Christus setzte der Siegeszug gebrannter Tongefäße ein.


Lesen Sie in Folge 3:
>Ein etwas anderer Blick auf die Familie

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Impressum: Der obige Haupttext entstand auf Basis eines Vortrages, den Barbara Abigt im Rahmen der Akademie der

Marienberger Seminare gehalten hat. Die Textbearbeitung für den Abdruck besorgten Andrea Mertes und Andreas Pecht. Für den Inhalt verantwortlich: Marienberger Seminare e.V. 

Der 80-minütige Originalvortrag ist als Audio-CD mit bebildertem

Begleitheft zu beziehen bei Marienberger Seminare

e.V., Tel. 02661/6702, email: mail@marienberger-seminare.de.

Weitere Infos: >> www.marienberger-seminare.de

Die Reihe „Wissen – Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte“ ist eine Kooperation zwischen Rhein-Zeitung und Marienberger Seminbare e.V., sie wird gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz.

(Erstabdruck 23. April 2011)


Bisher erschienene Folgen:

2011-04-02 Prolog/Einführung:
Eine Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte

2011-04-02a Folge 1: Der frühe Mensch zwischen
Natur und Kultur


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