Thema Wissenschaft / Bildung
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2011-06-25 Serie "Wissen":

Folge 8
 

Wie das Denken sich selbst entdeckte

 
ana/ape. Die Griechen waren die ersten Philosophen in der westlichen Geschichte. Schon vor 2500 Jahren fragten sie nach dem Sinn allen Seins und wollten verstehen, was es auf sich hat mit den Dingen der Welt. Sie erklärten den Kosmos ohne Götter und untersuchten die Ordnung der Natur – Themen, die uns bis  heute herausfordern und beschäftigen.


Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch. Er ist nicht abstrakt, er ist konkret. Das Konkrete, das Reale zu betrachten, ist eine mögliche Sicht auf die Welt. Doch was ist zum Beispiel mit dem genetischen Bauplan, der den Menschen entstehen lässt? Ist er nicht auch real? Ist die Welt so, wie sie uns erscheint? Oder ist die Wirklichkeit in stetem Wandel begriffen? Gibt es überhaupt eine einzige Wirklichkeit? Gibt es hinter all dem Wandel und all den Fragen Konstanten, nach denen sich das Leben ausrichten lässt? Was ist Wahrheit? Was  Gerechtigkeit? Gibt es Gut und Böse?

All das sind Fragen, für die sich griechischen Philosophen interessiert haben. Fragen zu stellen war der Anbeginn der „Liebe zur Weisheit“ – was die ungefähre Übersetzung des Wortes „Philosophie“ ist. Die antiken Philosophen wollten wissen, was sich hinter den Erscheinungsbildern der vorgeblichen Wirklichkeit verbirgt. Ob es Aussagen gibt, die Bestand haben über das Konkrete hinaus. Philosophie heißt, über diese Fragen in einer bestimmten Art und Weise nachzudenken.

Menschen haben sich wahrscheinlich immer Gedanken gemacht über das, was ihr Sein ausmacht und nach der Bedeutung von Himmel und Erde gefragt. Aber frühe Antworten darauf waren nicht philosophischer, sondern mythologischer Art. Wichtige Ereignisse wurden auf Götter und andere Figuren zurückgeführt. Die Mythen der Antike erklären beispielsweise, wie das Feuer zu den Menschen kam: Prometheus, der Philantroph unter den Titanen, schenkte es ihnen – nachdem er es zuvor am Funken sprühenden Himmelsgefährt des Sonnengottes Helios entzündet hatte. Seine Menschenfreundlichkeit wurde Prometheus allerdings zum Verhängnis. Zeus, der Götterchef der griechischen Mythologie, ließ ihn zur Strafe an einen Felsen ketten, wo ihm von nun an ein Adler täglich an der Leber fraß. Der Prometheus-Mythos ist auch eine Warnung vor dem Ungehorsam gegen die Götter.

Übrigens war Prometheus nicht der Einzige, den Zeus wegen der Geschichte mit dem Feuer zur Rechenschaft zog. Den Menschen schickte er alles Übel der Welt, überbracht von einem liebreizenden Geschöpf namens Pandora. Diese erste Frau auf Erden hatte viele Gaben mit auf den Weg bekommen – darunter auch eine Büchse. Zeus wies Pandora an, diese Büchse den Menschen zu schenken mit der Maßgabe, sie niemals zu öffnen. Ein perfider Schachzug: Auf die Wissbegierde als treibende Kraft menschlichen Handelns konnte sich der Göttervater verlassen. Die Büchse der Pandora wird im Mythos natürlich geöffnet: Heraus treten Untugend und Laster, Krankheit und Tod. Zwar kommt bei einem zweiten Öffnen auch die Hoffnung in die Welt. Aber das Goldene Zeitalter der Menschheit ist endgültig vorbei. Der Pandora-Mythos erzählt so den Anfang der Menschheitsgeschichte und zeigt dabei etliche Parallelen zum biblischen Sündenfall.

Was mythische Welterklärungsmodelle von der Philosophie unterscheidet, ist die Art der Fragen, auf welche die Mythen Antwort geben. Der Prometheus-Mythos etwa beantwortet die Frage, wer das Feuer in die Welt gebracht hat und warum. Er erklärt nicht, was Feuer ist und wie es entsteht. Was und wie sind Fragen der Wissenschaft. Sie zu stellen, bedeutet, andere Perspektiven einzunehmen.

Im 6. Jahrhundert vor Christus begann sich in Griechenland eine neue Sichtweise durchzusetzen. Wo früher der Mythos die Welt erklärte, wand sich der neue Geist der Welt mit dem Verstand zu. Er berief sich auf die eigene Vernunft (logos), verabschiedete sich von mythischen Personal und religiösen Zwängen und war vom Erkenntniswillen angetrieben. Gibt es einen letzten einheitlichen Grund aller Dinge? Und wenn ja, wie können wir ihn erkennen?
Solchen Fragen nach dem Ursprung aller Dinge versuchte eine Gruppe von Männern zu beantworten, die wir heute als „Vorsokratiker“ (Philosophen vor Sokrates) bezeichnen. Dazu zählten etwa Thales, Pythagoras, Heraklit oder Demokrit. Die Vorsokratiker waren keine Philosophen in der verengten Bedeutung von heute. Sie interessierten sich für alle möglichen wissenschaftlichen, auch naturwissenschaftlichen Zusammenhänge. Der Mensch hingegen stand nicht im Mittelpunkt ihres Fragens und Forschens. Und auch (lebens-)praktische und erzieherische Gedanken waren den Vorsokratikern noch fremd.
 
In der Zeit der Vorsokratiker entstand auch die Rhetorik, die „Kunst der Rede“. Sie war eine Reaktion auf die politischen Entwicklungen der attischen Demokratie. Da seit Perikles (ca. 490-429 v. Chr.) allen Athener Bürgern die höchsten Staatsämter offen standen, war politische Partizipation und Karriere keine Frage der Herkunft mehr. Sie war zu einer Angelegenheit der Bildung geworden. Und nur wer in den Volksversammlungen und vor Gericht mit seiner Redekunst überzeugen konnten, hatte die Chance auf wirtschaftliches und politisches Weiterkommen. So wurde die Rhetorik zur wichtigsten Bildungsdisziplin.
 
Die Lehrer dieser Fertigkeiten hießen Sophisten („Weisheitsbringer“). Als Vorläufer der modernen Akademiker gaben sie ihre Kenntnisse und Fertigkeiten gegen Honorar weiter. Sie erklärten ihren Schülern, wie Argumente und Reden aufgebaut sein müssen, um zu überzeugen. In gewisser Weise instrumentalisierten sie damit Bildung und Philosophie, denn sie lehrten diese nicht um ihrer selbst willen, sondern um damit Geld zu verdienen. Andererseits demokratisierten sie das Wissen auch: Erstmals konnten auch nichtaristokratische Bürger zu Bildung gelangen. Und damit – so die Hoffnung – zu einem besseren Leben.

Ein Beispiel für die Kombination aus Philosophie und Geschäftssinn war der Sophist Antiphon aus Korinth. Er half Bauern, die mit dem Gericht in Konflikt standen. Zunächst gründete er eine Art therapeutische Praxis, die er „Geschäft für Tröstungen“ nannte und vertrat theoretisch wie praktisch die Ansicht, psychische Leiden allein mit Worten lindern zu können. Nach einigen Jahren als „Seelentröster“ kam er auf die Idee, jedem, der vor Gericht kam, seine Dienste als Reden- und Plädoyerschreiber anzubieten – gegen Entlohnung, versteht sich. Da seine Klienten überwiegend Analphabeten waren, mussten sie die von Antiphon verfassten Reden auswendig lernen. Die Zeit, in der sie die Reden auswendig lernten, ließ sich Antiphon selbstverständlich auch honorieren.

Sophismus war Vermarktung der Philosophie, gekoppelt mit einer Demokratisierung des Wissens: Jeder konnte davon profitieren. Die Sophisten konzentrierten sich auf praktisch verwertbares Wissen. Es ging ihnen nicht um Wahrhaftigkeit, sie vertraten vielmehr einen  „sophistischen Relativismus“. Dahinter stand die Auffassung, dass Werte wie Gut und Böse, Wahr und Falsch nicht absolut gelten, sondern von denen abhängen, die sie vertreten. „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“, heißt es in der bis heute bekannten Sentenz des sophistischen Denkers Protagoras.

Aus dem Wirken der Sophisten entwickelte sich etwas ganz Neues: Der Mensch wurde zum Betrachtungsfeld der Philosophie. Hatten die Vorsokratiker noch nach den Gesetzen der Natur gefragt, waren es maßgeblich die Sophisten, die den Blick weg von der Natur und hin zum Menschen richteten. Unter ihren Argumenten begannen sich die traditionellen Werte der Gesellschaft aufzulösen. Verderbliche Scheinhaftigkeit, Relativismus und Skeptizismus hat ihnen deshalb Sokrates später vorgeworfen. Mit ihm und seinen Schülern Platon und Aristoteles erblühte eine neue Schule der Philosophie. Gemeinsam legten alle drei die Grundlage unseres abendländischen Denkens.


Zusatzinfos

Der weise Bettler: Wer freiwillig aufs Fleischessen verzichtet oder aufs Fliegen, betreibt Konsumverzicht - und bewegt sich damit auf den Spuren der antiken Philosophie. Genauer gesagt, in der Nachfolge der Kyniker. Diese philosophische Schule geht zurück auf Diogenes von Sinope, der im 4. Jahrhundert v. Chr. gelebt hat. Er predigte Bedürfnislosigkeit als Weg zum Glück. Eine Anekdote erzählt: Als er einmal einen Jungen sah, der Wasser aus der hohlen Hand trank, warf er seinen Becher fort und sagte: "Ein Kind ist mein Lehrmeister in Genügsamkeit geworden." Dass Diogenes in einer Tonne gelebt hat, ist wohl eine Legende. Doch in seiner Anspruchslosigkeit soll er tatsächlich ein Bettlerleben geführt und wie ein Hund (kýôn) gelebt haben - wovon die Begriffe Kynismus und Zynismus abgeleitet sind.

Geheimnis der Zahlen:
Alles ist Zahl - davon war der vorsokratische Denker Pythagoras überzeugt. Der griechische Philosoph und Mathematiker versuchte, den mystischen Hintergrund der Zahlen zu entschlüsseln. Er ordnete ihnen deshalb Eigenschaften zu wie männlich und weiblich, gut und böse oder Licht und Dunkel. Dass Zahlen eine geheime Bedeutung innewohnt, ist ein uralter Menschheitsglaube. Zahlensymbolik spielt unter anderem in der Bibel eine Rolle (etwa die Zwölf für die zwölf Stämme Israels und die Apostel) oder in Verschwörungstheorien (es gibt reihenweise Mythen um die Primzahl 23). Bis heute hat sich die mystische Zahlenlehre in unserem Alltag bewahrt. Man denke an den mit der Zahl 13 verbundenen Aberglauben.


Lesen Sie in Folge 9:
∇ Die Vordenker aus Griechenland

                                            ***

Impressum: Der obige Text entstand auf Basis eines Vortrages, den Bastian Klein im Rahmen der Akademie der Marienberger Seminare gehalten hat. Die Textbearbeitung für den Abdruck besorgten Andrea Mertes und Andreas Pecht. Für den Inhalt verantwortlich: Marienberger Seminare e.V. 

Der 80-minütige Originalvortrag ist als Audio-CD mit bebildertem

Begleitheft zu beziehen bei Marienberger Seminare

e.V., Tel. 02661/6702, email: mail@marienberger-seminare.de.

Weitere Infos: >> www.marienberger-akademie.de

Die Reihe „Wissen – Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte“ ist eine Kooperation zwischen Rhein-Zeitung und Marienberger Seminbare e.V., sie wird gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz.


(Erstabdruck 25. Juni 2011)

                                          ***

Bisher erschienene Folgen:


2011-04-02 Prolog/Einführung:
Eine Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte

2011-04-02a Folge 1: Der frühe Mensch zwischen
Natur und Kultur


2011-04-23 Folge 2: Die Menschen werden sesshaft

2011-04-30 Folge 3: Ein etwas anderer Blick auf Familie

2011-05-07 Folge 4: Abschied vom magischen Zeitalter

2011-05-14 Folge 5: Die Wurzeln des Abendlandes

2011-05-21 Folge 6: Wie die Demokratie nach Europa kam

2011-05-28 Folge 7: Rom und die Grenzen des Wachstums


---------------------------------------------------------
Wer oder was ist www.pecht.info?
---------------------------------------------------------

 
Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken