Thema Wissenschaft / Bildung
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2012-02-29a Serie "Wissen":

Folge 35
 

Gottes Werk und Darwins Beitrag

 
ana/ape. Menschen, Tiere, Pflanzen sind nicht in einem Schöpfungsakt entstanden, sondern Ergebnis der Evolution: Charles Darwins Erkenntnis war in der Wissenschaft ein Riesenerfolg, dennoch gibt es bis heute Streit darum.


Am absoluten Anfang sagte Gott drei Worte: „Es werde Licht.“ Und es ward Licht. Nachzulesen ist dieser Erzähleinstieg im Alten Testament. Mit ihm beginnt die Genesis, die biblische Schöpfungsgeschichte. Sie ist ein Mythos von der Geburt des Lebens, einer von vielen. Ob Ägypter, Chinesen oder die Urvölker Australiens, ob Griechen, Sumerer oder Juden: Sie alle kennen Schöpfungsmythen, die ihnen die Entstehung der Welt und ihren eigenen Ursprung erklären sollen.

Dass es vielleicht doch kein Machtwort Gottes oder eine Laune der Götter war, mit der das diesseitige Leben begann, und auch keine göttliche Lotosblüte, aus der es stieg: Diese Ahnung dämmerte bereits einigen Menschen in der Antike. Denker wie Thales von Milet suchten nach nicht-mythologischen Erklärungen für das Prinzip Leben. Der griechische Naturphilosoph meinte, das Wasser sei Ursprung allen Lebens. Sein Zeitgenosse Anaximander ging einen Schritt weiter: Er nahm an, dass die ersten Menschen sich aus fischähnlichen Wesen entwickelten, also im Wasser entstanden und später an Land gingen. Anaximander vermutete also bereits eine Art evolutionären Prozess hinter der Entstehung des Lebens.

Einem ganz anderen Ansatz folgte die Theorie der Artenkonstanz, die Jahrhunderte lang die Lehrmeinung dominierte. Dieser Theorie zufolge war alles Leben in einem einzigen Schöpfungsprozess geschaffen worden und hatte sich seither nicht verändert. In Christentum und Islam entsprach dieser Vorstellung der Glaube an einen göttlichen Schöpfungsakt.

Im Zeitalter der Aufklärung kehrte man zurück zur natürlichen Erklärung der Entstehung von Fauna und Flora. Als Erster legte der französische Botaniker und Zoologe Jean Baptiste Lamarck (1744-1829) eine Evolutionstheorie vor. Lamarck vertrat die Auffassung, dass alle Organismen Eigenschaften an ihre Nachkommen vererben können, die sie während ihres Lebens erwerben. Und dass sich diese Eigenschaften als Anpassung an die Umwelt auch verändern können. Mit seiner Lehre von der Veränderlichkeit der Arten störte Lamarck das politische und religiöse Establishment auf: Seine Ideen wurden als Bedrohung der bestehenden Ordnung angefeindet.

Doch das war nur das Vorspiel zu einem Buch, das 1859 erschien: Als Charles Darwin (1809-1882) mit seinem Werk „Die Entstehung der Arten“ die Evolutionslehre begründete, revolutionierte er nicht nur die Naturforschung. Er versetzte auch der überkommenen Buchstabengläubigkeit der theistischen Religionen einen schweren Schlag. Wenn die natürliche Auslese an die Stelle der göttlichen Schöpfung trat, so fürchteten die Kirchenvertreter, dann könnte das Gott überflüssig machen.

Mit der „Entstehung der Arten“ legte Darwin im Wesentlichen fünf Theorien vor, die voneinander unabhängig waren. Er belegte mit seiner Arbeit zum einen die Evolution als solche, nämlich als Veränderlichkeit der Arten. Zweitens war Darwin im Unterschied zu Lamarck der Ansicht, dass alle Arten eine gemeinsame Abstammung haben. Eine dritte These seines Werkes beschäftigte sich mit dem Gradualismus, also der Annahme, dass Evolution langsam und kleinsten Schritten verläuft. Viertens sprach Darwin in diesem Zusammenhang von Populationen, also von Individuen der gleichen Art, die miteinander verwandt sind. Fünftens beschrieb er die natürliche Selektion als einen wichtigen Mechanismus der Evolution: Die Auslese findet nach seiner Ansicht dort statt, wo Individuen besser an ihre Umwelt angepasst sind als andere. Nicht der Stärkere überlebt, sondern der besser Angepasste.

Darwins Erkenntnis, dass die modernen Lebensformen das Resultat von Jahrmillionen natürlicher Auslese sind, war im 19. Jahrhundert revolutionär. Sie warf die bis dahin vorherrschende Überzeugung über den Haufen, die Tier- und Pflanzenarten seien auf ewig unveränderbar. Dabei hatte der britische Naturforscher seinen Zeitgenossen noch gar nicht den schwersten Brocken zugemutet: Die Abstammung des Menschen selbst zu erörtern, das wagte er erst 1871 mit dem Buch „Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“. Erstmals stand dort niedergeschrieben, was in Wissenschaftszirkel jener Zeit zaghaft diskutiert wurde: Mensch und Affe sind miteinander verwandt. Sie haben gemeinsame Vorfahren.

Die These war ungeheuerlich, stellte sie doch das Selbstbild des Menschen als Krone der Schöpfung in Frage. Sie war „eine der drei Kränkungen der Eigenliebe der Menschheit“, wie es Sigmund Freud zwei Generationen später formulierte. Wie Recht der Begründer der Psychoanalyse damit hat, zeigt sich in der Nachwirkung der darwinistischen Thesen. Zwar gilt die Evolutionslehre heute als das am besten belegte Modell zur Erklärung der belebten Natur, das je existierte. Und Darwin selbst wird als einer der bedeutendsten Naturwissenschaftler aller Zeiten angesehen. Doch der grundsätzlichen Anerkennung seiner Schlussfolgerungen durch die Wissenschaft weltweit steht die anhaltende Ablehnung durch Teile der Öffentlichkeit gegenüber.

Noch immer gibt es Menschen, die Darwins Evolutionstheorie nicht zustimmen, sie gar für gotteslästerlich halten.
Eine der Hauptbewegungen gegen die Evolutionstheorie ist der Kreationismus (lateinisch „creatio“ für „Schöpfung“). Er sieht die Entstehung des Universums als Gotteswerk genau wie im Alten Testament beschrieben. In sechs Tagen schuf Gott das Universum, Himmel und Erde, am siebten Tag ruhte er. Für Kreationisten ist das weder Mythos noch religiöse Symbolhaftigkeit, sondern historische Realität. Allerdings glauben weniger radikale Vertreter, dass die biblischen sechs Tage in Wahrheit viel längere Abschnitte seien, die den in der Wissenschaft geläufigen geologischen Zeitaltern entsprechen. Eine andere Strömung ist überzeugt, dass Gott die Erde und das Leben darauf tatsächlich in besagten sechs mal 24 Stunden erschaffen habe, und zwar vor maximal 10 000 Jahren.

Entstanden ist der Kreationismus im 19. Jahrhundert als religiös motivierter Widerstand gegen die Entwicklung der Naturwissenschaften. Heute tobt der Streit zwischen Anhängern und Gegnern der Evolutionstheorie in keiner anderen Industrienation so heftig wie in den USA. Auf der einen Seite stehen Kreationisten und ihre heute pseudowissenschaftlich begründete Schöpfungstheorie des „Intelligent Design“. Ihnen gegenüber steht das naturwissenschaftliche, von Darwin geprägte Weltbild.

Es ist ein Weltbild, das durch Fundstücke aus vielen erdgeschichtlichen Phasen, durch Forschungen der modernen Genetik und Mikrobiologie gut abgesichert ist. Alle Versteinerungen passen in einen konsistenten Stammbaum aller Lebewesen. In der Regel weicht eine Form umso stärker von nachfolgenden Formen ab, je älter sie ist. Aber der Darwinismus hat auch Schwierigkeiten mit der Erklärung bestimmter Phänomene. So weiß man, dass niedere Tiere – wie Regenwürmer, Seesterne, Eidechsen – die Fähigkeit besitzen, verloren gegangene Körperteile nachwachsen zu lassen. Diese Fähigkeit stellt einen großen evolutionären Vorteil für diese Tiere dar. Auf Grundlage der darwinistischen Lehre ist es schwer erklärlich, wieso es spätere, höher entwickelte Spezies ohne diese Vorteile gibt.
Charles Darwin hat übrigens schon vor 150 Jahren mit erfrischender Offenheit zugegeben, dass auch er nicht alles erklären kann. Überliefert ist die Aussage: „Bitte fragen sie mich nicht, woher der erste Impuls kommt für eine Zelle, die sich teilt. Ich habe keine Ahnung!“


Zusatzinfos

Die Spottdrossel war's: Die ersten Ideen für seine Evolutionstheorie kamen Charles Darwin quasi zugeflogen: Als junger Forscher war er 1835 an Bord eines Vermessungsschiffs auf die Galapagosinseln gekommen. Dort fiel ihm auf, dass die Spottdrosseln auf drei dieser Inseln jeweils ein anderes Aussehen und Verhalten hatten, und dass sie obendrein kleiner waren als ihre Verwandten auf dem Festland. Die Suche nach einer Erklärung führte bald zu seiner berühmten Schlussfolgerung, hier sei eine "natürliche Zuchtwahl" am Werk: Weil die Lebensbedingungen auf jeder Insel unterschiedlich waren, konnten nur diejenigen Vögel überleben, die sich ihren jeweiligen Umweltbedingungen am besten anpassten.

Kreationismus: Die wörtlich genommene Schöpfungsgeschichte der Bibel als gleichberechtigte Lehrmeinung über die Entstehung des Lebens im Biologieunterricht? Kreationismus im Klassenzimmer? Für die britische Bildungspolitik kommt das nicht infrage. Großbritannien will deshalb jenen Lehranstalten, die Theorien des "Intelligent Designs" oder des Kreationismus lehren, künftig die staatliche Finanzierung streichen. Dieser Entscheidung des Bildungsministeriums war eine Kampagne des britischen Humanisten-Verbands vorausgegangen.


Lesen Sie in Folge 36:
Proletarier aller Länder vereinigt euch! Über Karl Marx
 

                                                     ***

Impressum: Der obige Haupttext entstand in Anlehnung an einen Vortrag, den Bastian Klein im Rahmen der Akademie der Marienberger Seminare gehalten hat. Die Textbearbeitung für den Abdruck besorgten Andrea Mertes und Andreas Pecht. Für den Inhalt verantwortlich: Marienberger Seminare e.V. 

Der 80-minütige Originalvortrag ist als Audio-CD mit bebildertem

Begleitheft zu beziehen bei Marienberger Seminare e.V.,

Tel. 02661/6702.

Weitere Infos: >> www.marienberger-akademie.de

Die Reihe „Wissen – Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte“ ist eine Kooperation zwischen Rhein-Zeitung und Marienberger Seminare e.V., sie wird gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz.


(Erstabdruck 9. Woche im Februar 2012)

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Bisher erschienene Folgen:

2011-04-02 Prolog/Einführung:
Eine Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte

2011-04-02a Folge 1: Mensch zwischen Natur und Kultur

2011-04-23 Folge 2: Die Menschen werden sesshaft

2011-04-30 Folge 3: Ein etwas anderer Blick auf Familie

2011-05-07 Folge 4: Abschied vom magischen Zeitalter

2011-05-14 Folge 5: Die Wurzeln des Abendlandes

2011-05-21 Folge 6: Wie die Demokratie nach Europa kam

2011-05-28 Folge 7: Rom und die Grenzen des Wachstums

2011-06-25 Folge 8: Wie das Denken sich selbst entdeckte

2011-07-02 Folge 9: Die Vordenker aus Griechenland

2011-07-09 Folge 10: Vorhang auf für das antike Theater

2011-07-25 Folge 11: Ursprünge der abendländischen Musik

2011-07-30 Folge 12:  Antike Naturwissenschaft

2011-08-07 Folge 13: Antike Architektur

2011-08-20a Folge 14: Bildende Kunst der Antike

2011-08-27a Folge 15: Kindertage des Christentums

2011-09-30 Folge 16: Kriegszüge im Zeichen des Kreuzes

2011-10-24b Folge 17: Romanik und Gotik

2011-11-07 Folge 18: Mittelalterliche Städtebildung

2011-11-15 Folge 19: Das seltsame Ideal der "hohen Minne"

2011-11-24 Folge 20: Eine neue Macht erwacht - die Liebe

2011-11-24a Folge 21: Mainzer Drucker verändert die Welt

2011-12-08 Folge 22: Die Erde dreht sich um die Sonne

2011-12-15 Folge 23: "Moderne" Naturwissenschaft beginnt

2011-12-15a Folge 24: Die Renaissance

2011-12-22b Folge 25: Luther und die Reformation

2012-01-02a Folge 26: Calvinismus und Kapital

2012-01-05 Folge 27: Der Dreißigjährige Krieg

2012-01-12 Folge 28: Die Geburt der Oper im Barock

2012-01-18 Folge 29: Die Aufklärung

2012-01-24a Folge 30: Immanuel Kant

2012-02-05 Folge 31: Die Französische Revolution

2012-02-11 Folge 32: Preußens Revolution von oben

2012-02-15 Folge 33: Die Romantik

2012-02-27b Folge 34: Die Musik der Romantik


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