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2012-04-16 Ballettkritik:

ballettmainz brilliert mit Kyliáns "Indigo Rose" , langweilt mit Touzeaus „360º“

Lichte Tanzkunst und schon wieder
ein düsteres Rätsel
 

 
ape. Mainz. Nicht nur im Ballett sind oft gerade die kleinen Werke konzentrierter Ausdruck höchster Kunstfertigkeit. 25 Minuten nur dauert „Indigo Rose“, 1998 von Jiri Kylián fürs Netherlands Dans Theater choreographiert. Für Liebhaber zeitgenössischen Tanzes sind das 25 beglückende Minuten. Das ballettmainz stellt mit seiner aktuellen Realisation unter Beweis, dass es über die tänzerisch beste Compagnie in Rheinland-Pfalz verfügt. So hinreißend dieser erste Abendteil ausfällt, so befremdlich einmal mehr die anschließende Choreographie „360º“ des Mainzer Ballettchefs Pascal Touzeau.

 
Kylians Stück umfasst vier Miniaturen unterschiedlicher Stimmung. Im Wechsel bauen sie auf Musik von Robert Ashley und John Cage aus dem 20. Jahrhundert oder von Francois Couperin und Johann Sebastian Bach aus dem 18. Daraus ergeben sich zu modernen Klängen zwei schnelle, quirlige, frisch-verspielte  Tanzteile und zur klassischen Musik zwei von eher getragener, ernst-besinnlicher Art. Man kann dies als Reflex auf unterschiedliche Zeitgeister deuten. Gescheiter ist es aber wohl, wenn die Zuseher sich ganz ohne derartige Spekulation auf die faszinierende Musikalität des Tanzes wie seine rein ästhetischen Qualitäten einlassen.

Flitzende Flaneure, das sollte ein Widerspruch in sich sein. Doch genau so wirkt, was da zu Beginn geschieht. In nervöser Getriebenheit und leichtfüßiger Lockerheit zugleich eilen Tänzer unter einem schräg ansteigenden Metallseil über die Bühne. Impulsstark erzeugen ihre Körper und Bewegungen einen munter sprudelnden Fluss wechselnder Figuren und Ausdrücke von reizender Eitelkeit, Witz, Akrobatik, frühlingshaftem Wohlsein, Tanz in den Straßen. Es kommt zu schnellen, freundlichen Begegnungen, die sich für Augenblicke zu kleinen Formationen verdichten – man sagt tänzerisch „hallo, hi, wie geht’s, wie steht's“.

Diese luftige, frohe Stimmung wird in der dritten Miniatur wieder aufgegriffen. Nun flechten sich originell verfremdete Anklänge ans Bewegungsrepertoire asiatischen Tempeltanzes und der Peking-Oper ins Geschehen vor und hinter einem jetzt am Metallseil entrollten weißen Vorhang. Da wird gespielt, geneckt, geturtelt – vor dem Vorhang real, dahinter als Schattenspiel. Mit Federleichtigkeit betören kann das alles nur, weil die Mainzer Compagnie in tänzerisch beseelter Präzision bis zu den letzten Hand- oder Fußgeste agiert. Dieser Befund gilt ebenso für die beiden Miniaturen zu klassischer Musik – ob zu Couperin Apotheosen-Sinnbilder in menschliches Miteinander verwandelt werden oder zu Bach höfische Tanzelemente in moderne Ballettpoesie.

Auf technisch hohem Niveau getanzt wird auch Touzeaus „360º“. Über ein halbrundes Riesenprospekt dräuen Wolken und Lichterscheinungen. Daneben steht eine Stuhlreihe, wo sich bisweilen einige der sechs beteiligten Tänzer niederlassen. Einzeln oder in Paaren/Gruppen treten sie zu in sich gekehrten Tanzpassagen auf. Die sollen etwas sagen, bedeuten, versinnbildlichen, empfindbar machen. Doch der Bewegungsausdruck ist kaum deutbar, ein Geschehen kaum fassbar. Sinn und Atmosphäre verlieren sich zwischen rästelhafter Symbolik und der Kühle allfälliger Abstraktion.
 
Was ist es, das dort thematisch behandelt wird? Zumal in einem Stil, der in Touzeaus drittem Mainzer Jahr noch immer das allmählich langweilig werdende Versuchsstadium erkennen lässt, aus gemäßigter Forsythe-Art und Neoklassik eine eigene Melange zu entwickeln? Nach Auskunft des Choreographen sind da seine Gefühle und Eindrücke verarbeitet, die er während eines komatösen Zustands im Krankenhaus hatte.

Selbstbezüglichkeit ist nicht per se zu beanstanden, sie gehört seit jeher zu den Künsten. Allerdings mutiert einmal mehr unter den Händen des Mainzer Ballettchefs der Stoff auf der Bühne zu kryptisch versiegelter Aktion. Die ließe sich in Teilen mit dem Kopf vielleicht eben noch sachlich ergründen, dem Herzen aber bleibt der Ballettausdruck der Touzeau'schen Innenwelten leider wieder einmal unzugänglich.                                                  Andreas Pecht

Infos: www.staatstheater-mainz.com

(Erstabdruck 16. April 2012)

                                            ***

Frühere Kritiken zu Touzeau-Choreographien in Mainz:

2012-02-06 Ballettkritik:
"Voices" beim ballettmainz. Choreographien von Pascal Touzeau zu Musiken von Peteris Vasks


2011-11-06 Ballettkritik:
"Tears on Scriptease" beim ballettmainz mit Uraufführungen von Brun, Touzeau und Godani


2011-04-17 Ballettkritik:
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2011-02-06a Ballettkritik:
"Romeo und Julia" beim ballettmainz. Choreographie: Psacal Touzeau


2010-03-06 Ballettkritik:
"In48" neue Produktion von Godani und Touzeau beim ballettmainz


2010-05-30 Ballettkritik:
"The Irin", Ballett von Pascal Touzeau in Mainz nur kryptischer Manierismus


2010-03-29a Anmerkung zur "Raymonda"-Choreographie von Pascal Touzeau

2009-12-20 Ballettkritik:
"Rebound" - zweite Produktion von Pascal Toudezau mit seinem neuen ballettmainz


2009-10-11 Ballettkritik:
Erste Premiere von Pascal Touzeau beim "neuen" ballettmainz


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