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2011-11-06 Ballettkritik:

"Tears on Scriptease" beim ballettmainz. Premiere mit Uraufführungen von Brun, Touzeau und Godani

Tanzkunst geht auch ohne Story oder psycho-philosophischen Hinterbau



 

ape. Mainz. Wenn Künstler im Theater szenisch agieren, erwarten viele Zuseher Geschichten, Handlung, Drama, Botschaften. Diese Erwartungshaltung ist für das postromantischen Ballett ein Problem. Denn moderne Tanzkunst steht oft der absoluten Musik oder der abstrakten Malerei näher als dem Schauspiel oder der Oper. Einer Sinfonie ähnlich, wenden sich viele neuzeitliche Choreografien unmittelbar ans Gefühl oder sind pure ästhetische Kunstform.


 

Die erste Saisonpremiere beim ballettmainz brachte jetzt unter dem wortspielerischen Titel „Tears on Scriptease“ vier Uraufführungen vors Publikum, von denen nur eine sich umstandslos rational entschlüsseln lässt: „Soldaten“ von Gastchoreograf Davy Brun – eine hübsche, aber recht harmlose Arbeit. Acht uniformierte Akteure tanzen erst strenge Drillformation, wirbeln hernach in Gruppen durch tänzerisch verfremdete Exerzitien der Kampfausbildung. Schließlich findet sich ein Paar, zieht die Uniform aus, umschlingt sich in einem letzten Liebesakt vor der Schlacht.


Die Eckpunkte des gut zweistündigen Abends setzen zwei Arbeiten des Mainzer Ballettchefs Pascal Touzeau. Nach seiner Auskunft im Programmheft sind beide angesiedelt in Schwebezuständen zwischen Traum und Wachheit respektive Koma und Intensivstation. Die Auskunft hilft indes wenig für die Enträtselung der Choreografien. Doch ist es überhaupt nötig oder sinnvoll, sie enträtseln zu wollen?

„Script“ (Drehbuch, Schriftstück) zum Auftakt ist ein wunderschönes kleines Stück für ein in Zweisamkeit versunkenes Tanzpaar. Es lebt vom steten Fluß des intimen Miteinanders und dem darin eingebetteten Hin-und-Her zwischen Individualanspruch und verschmelzender Hingabe bei Cristina Ayllon Panavera und Denislav Kanev. Elegante Posen zerfließen zu welliger Zartheit, schmiegsames Wiegen schwingt sich zu verspieltem Dancing auf: Tanzausdruck so ambivalent strömend wie die Mannigfaltigkeit menschlichen Fühlens. Der an die Wand projizierten Sinnsprüche über Träume hätte es nicht bedurft – man lasse sich nur ohne weiteren Gedanken von diesem Tanz anmuten, und es ist gut.


Beklemmend die zweite Touzeau-Choreografie: „Tears“ (Tränen). Da liegt Mariya Bushuyeva in einem Quadrat aus Weißlicht, muss sich wie eine halb narkotisierte Patientin Körperfunktionen und Wahrnehmung zusammenklauben. Im Hintergrund läuft eine Digitaluhr, aus dem Off dröhnen maschinenartige Klänge der Gruppe 48nord. Auf die Patientin folgen andere Patienten, Ärzte und Pfleger, gießen endlos die gebrochenen Figuren des Forsythe‘schen und Touzeau‘schen Formenkosmos aus. Eine kryptische Arbeit, zerfaster und mit Längen, die weder intellektuell noch ästhetisch packt.


Ein Hingucker ist hingegen der Beitrag „Ex nihilo“ (aus dem Nichts) vom Mainzer Zweitchoreografen Jacopo Godani. Regen und Meeresrauschen als klangliches Leitmotiv, dazu Ballett mit einer erstaunlichen Körpersprache: Anne Jung und Antonin Comestaz führen mit einem intensiven Pas de Deux verzögerte, weiche, runde, schwebende Bewegungsformen ein, als sei ihr Tanz im Wasser daheim. Andere Tänzer greifen diese Formen auf, „umschwimmen“ einander nach Art der Quallen, Fische, Schlangen. „Der Punkt des Geistes nimmt Gestalt an“ heißt es dazu philosophierend im Programmheft. Aber diesen gedankenschweren Fingerzeig braucht man nicht – die kunstvolle Sinnlichkeit von Godanis Arbeit betört aus sich selbst heraus.

                                                                                        Andreas Pecht



Infos: www.staatstheater-mainz.com

(Erstabdruck 7. November 2011)

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