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2013-06-15 Schauspielkritik:

Shakespeares „Was ihr wollt“ am Staatstheater Mainz

Jan Philipp Gloger gibt dem Affen überreichlich Zucker


  
ape. Mainz. Zum Ende herzt und knutscht in wild verknäultem Leibesvierer ein jeder jeden. Männlein, Weiblein, Bruder, Schwester, Anverlobte, Herzensfreunde: Keiner kann von keinem lassen. Die Ordnung nach Geschlecht und Paar ist nichtig nun, zerschossen durch Begehren, das von gestrenger Norm auf ewig sich nicht bannen lässt.
 

Die vorletzte Szene bei der letzten Premiere der Saison am Staatstheater Mainz bringt die Essenz  von William Shakespeares „Was ihr wollt“ knackig auf den Punkt. Und damit nur ja kein Zuseher an Zufall glaube, setzt Regisseur Jan Philipp Gloger mit dem Schlussbild noch ein leises, aber nachdrückliches Ausrufezeichen drauf: Die zum Cesario verkleidete Viola folgt nur widerwillig dem Wunsch des Herzogs Orsino „lass mich dich in Mädchenkleidern sehen“ – und streift ihr altes rosa Kleidchen über den schwarzen Männeranzug. Das ist ein interpretatorisch kluger, szenisch starker Schluss.

Zweidreiviertel Stunden dauert in Mainz die Demontage der gesellschaftlichen Konvention durch fortschreitende Geschlechter- und Neigungsverwirrung. Vom als Komödie bezeichneten Original her ließe sich diese Strecke in wechselnde Passagen aus zwei Spielebenen gliedern. Hier das mehr auf  psychologische Innensichten abhebende Dreieck aus Orsino, der Gräfin Olivia durch seinen Liebesboten Viola/Cesario vergeblich umwerben lässt, ihr mit dem vermeintlichen Jüngling stattdessen unwillentlich ein Objekt der Begierde ins Haus schickt. Dort das saftig-turbulente Volksspiel von Olivias Personal, das vor allem aufs Zerpflücken des ebenso puristischen wie aufstiegsgeilen Haushofmeisters Malvolio abzielt.

Gloger aber mag, im Unterschied zu seinen sonst so feinsinnigen Inszenierungen, diesmal von atmosphärischem Wechselspiel nichts wissen. Auch er tut, wozu nicht wenige Regisseure in jüngerer Zeit bei der Arbeit mit klassischen Komödien neigen: Alle aus dem Stück irgendwie ableitbaren Möglichkeiten zu komischem Spiel radikal nutzen und bis ins Extrem strapazieren. Kurzum: in Mainz wird bei „Was ihr wollt“  dem Affen durchweg viel, sehr viel, zu viel Zucker gegeben.

Eigentümlich wirkt bei der auf Knallchargen-Spiel mit Slapstick-Einlagen bürstenden Rigorosität die Einheitsbühne  von Christof Hetzer. Eine Hotelbar mit zerbrochenen Fenstern, halb eingestürzter Decke und durcheinander geworfenem Mobiliar versetzt das Geschehen in die Endphase des Zweiten Weltkrieges, gelegentlicher Fliegeralarm inklusive. Was soll das? Mag sein, es ist Endzeitsymbolik und Hinweis auf eine hier teils schnapsselig selbstbezogene Verfallsgesellschaft. Doch der Gedanke ist schneller weggelacht als reflektiert.

So bleibt die Inszenierung deftiges, munter schnurrendes Komödienmaschinchen. Dass Gloger auch da ein Könner ist, zeigen die humoresken Bravourstückcken, zu denen fast alle Rollen geworden sind. Sei es Felix Mühlen als deppert überspannter Schmachtbolzen Orsino, Andreas Mach als pedantischer Gockel Malvolio oder André Willmund als derangierter Suffnik Toby. Sei es Ulrike Beerbaum in Gestalt der kiebig-hinterfotzigen Maria oder Monika Dortschy in der Funktion des abgehalfterten, aber tiefgründigen Shakespeare-Narren. Ein Sonderfall ist Karoline Reinke, deren eher zurückhaltendem Spielnaturell durchgeknallte Komik ohnehin nicht gegeben ist. Sie für die Viola zu besetzen, war ein kluger Zug – andernfalls der Abend wohl zum puren Klamauk auseinandergebrochen wäre.
                                                                                   Andreas Pecht


Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 17. Juni 2013)

                                              ***

Besprechungen früherer Inszenierungen von
Jan Philipp Gloger:

2013-01-21 Schauspielkritik:
Uraufführung von Philipp Löhles „Nullen und Einsen“ am Staatstheater Mainz. Regie: Jan Philipp Gloger


2011-06-11 Schauspielkritik:
"Winterreise" von Elfriede Jelinek in Mainz. Regie: Jan Philipp Gloger


2010-09-20 Schauspielkritik:
Schillers "Kabale und Liebe" am Staatstheater Mainz. Regie: Jan Philipp Gloger


2009-09-13 Schauspielkritik:
Schnitzlers "Traumnovelle" in Mainz erstmals für die Bühne adaptiert. Regie: Jan Philipp Gloger



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