Kritiken Theater
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2013-01-21 Schauspielkritik:

Uraufführung von Philipp Löhles „Nullen und Einsen“ am Staatstheater Mainz. Regie: Jan Philipp Gloger


Sein, Anderssein oder Nichtsein,
das ist hier die Frage
 

 
ape. Mainz. Hausautor Philipp Löhle hat dem Staatstheater Mainz das Stück „Nullen und Einsen" geschrieben, zu dessen Uraufführung jetzt neun Schauspieler und ein Hund angetreten sind. Franziska Bornkamm hat ihnen eine Bühne gebaut, die die moderne Lebenswelt in ein Großraumbüro packt. Jan Philipp Gloger hat einen zweistündigen Abend inszeniert, der auf halbem Weg von Realismussatire zu absurdem Theater Möglichkeiten zwischen Sein und Anderssein anleuchtet.
 

Foto: Bettina Müller

Im Zentrum steht der 36-jährige Moritz Krehmer, von Felix Mühlen famos als verklemmter Datenverarbeiter Marke graue Maus gespielt. Vernarrt in Kollegin Klara (Johanna Paliatsou), versprüht er beim ersten Date bloß Langeweile, wird fortan von der lebenshungrigen Frau mit Missachtung gestraft. Weshalb er nun in peinlicher Großmäuligkeit „absolute Oberkracher“ zündet, um als vermeintlicher Normbrecher zu imponieren: Strümpfe verkehrt herum, gar barfüßig im Büro.

Doch die Umgebung nimmt die Revolution des kleinen Mannes gar nicht wahr, geht ungerührt ihren Geschäften nach. Der Direktor (Marcus Mislin) beauftragt einen Killer (trefflich nervös: André Willmund) mit „Erledigungen“ für das Unternehmen. Ein Arzt und ein Rettungssanitär (Mathias Span, Stefan Graf) philosophieren über die Möglichkeiten anderer Arten des Lebens: Ersterer futtert, Letzteren drängt es zum Ausstieg. Jule (stürmisch bis verletzlich: Lisa Mies) sucht mit Tom (Tilman Rose) das Weite, endet nach einem Unfall querschnittsgelähmt an der Seite eines amnesieanfälligen Obdachlosen mit Professorentitel (rührend: Lorenz Klee). Der hat sich als Gegenleistung für eine geniale Datenverarbeitungsformel in Moritz' Wohnung eingenistet...

Da wird eine Fülle alltäglicher bis dramatischer Begebenheiten abgespult, miteinander verhakt und allmählich – etwas länglich – auf den Kern des Stückes zugetrieben: Besagter Killer erwürgt Moritz beinahe, der landet ohnmächtig im Krankenhaus, derweil der Rettungssanitäter ihm Handy, Kreditkarte, Ausweis klaut und damit die Identität wechselt. Jetzt laufen zwei Moritze herum; bald sind es derer drei, weil auch der Obdachlose für ihn gehalten wird. Anbei wechseln kreuz und quer Schuhe, Jacken, Hosen, Namen, Jobs, Konten, Daten den Besitzer, gehen Biografien verloren und werden neue erfunden.

Wer ist wer, und wenn ja, wer nicht? Was so beschrieben fast nach boulevardeskem Verwechslungstheater klingt, ist in Löhles Text und Glogers Inszenierung eher zwangsläufige Wirkung skeptischer bis lakonischer Modernebetrachtung. Die wird grundiert mit naturwissenschaftlich-technischen Zwischenerklärungen von barocker Mathematik über die Erfindung der Computerrechnung bis zu Hugh Everetts quantenmechanischem Modell paralleler Universen. Da kann der Zuseher noch was lernen – während er amüsiert bis angerührt dem hübsch-hintersinnigen Spiel um fatale Gefährdungen unserer multiplen Existenz als Mensch, als Name, als Datensatz, als Telefonnummer folgt.

Im letzten Bild kehren vorherige Entwicklungen plötzlich zu ihrem Ausgang zurück, als sei alles nur ein Traum gewesen. Allerdings hängen nun die Büromöbel in Klumpen an der Decke und werfen die Frage auf: Was ist Traum, was Wirklichkeit? Dem kleinen Hündchen, das der Direktor seiner Gattin schenkte und wieder loswerden will, ist das einerlei – Moritz' nackte Füße sind in der einen wie der andern Dimension einen realen Schnüffler wert. Kluges Tier.                                                       Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 21. Januar 2013)


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