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2009-09-13 Schauspielkritik:

Schnitzlers "Traumnovelle" in Mainz erstmals für die Bühne adaptiert


Burleske Rammelei im Kleiderschrank
 
 
ape. Mainz.  Um es gleich zu sagen: So viel lüstlich erregtes Fleisch wie in Stanley Kubricks Verfilmung „Eyes Wide Shut“ zeigen die drei Frauen und vier Männer in der Mainzer Bühnenadaption von Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ nicht. Die Uraufführung der Bearbeitung und inszenatorischen Einrichtung des Prosawerkes von 1925 durch Jan Philipp Gloger (28) im Kleinen Haus des Staatstheaters bleibt ohne Skandal. Stattdessen Gekicher über eine mehr burleske denn geile Gruppenrammelei im Kleiderschrank und geduldiges Mithören einer auf Stöhn-Chor reduzierten Orgie der brav zu Bette sitzenden Protagonisten.


Doch so unernst, wie einem manche Lustszene vorkommt, ist die Sache keineswegs. Bei Schnitzler sowieso nicht, und zumindest an einigen Stellen des nur knapp 100-minütigen Stückes auch nicht. Schließlich geht es um das, was in jedem Hinterkopf lauert: Klammheimliche Wünsche nach mehr, nach anderem –  Sex. Fridolin und Albertine machen sich mal ehrlich: Eines Abends erzählen sie einander von ihren den Ehealltag sprengenden Fantasien.

Ab da wird’s schwierig, für das Paar und für die Theaterbesucher ebenfalls. Die Eheleute entgeistert, was sie vom je andern zu hören kriegen. Entfremden und Eifersucht stellen sich ein. Der Zuseher muss sich unterdessen mit Fridolins Aufspaltung in mehrere Persönlichkeiten und einer undurchsichtigen Gleichzeitigkeit von realen Handlungsteilen und Traumsequenzen auseinandersetzen. Der Mann erlebt mit zwei bis sechs Abziehbildern seiner selbst – Mitspieler in uniformem blauem Outfit, die ständig mitreden, kommentieren, kritisieren – diverse erotische Abenteuer.

Seien sie Traum oder real, allemal bleibt dem Getriebenen Befriedigung verwehrt. Der Hunger wächst, Begierde kommt dem Wahnsinn nahe. Stefan Grafs Darstellung des Fridolin streift diesen Zustand momenthaft. Bald übernimmt aber auch er kessen Zungenschlag, Slapstick und Comedy-Manier, zu denen das überwiegend sehr junge Ensemble hier immer wieder neigt. In toto wird zwar engagiert und variantenreich aufgespielt, eine kurzweilige, durchaus interessierende Szenenfolge gestaltet.

Das Unerhörte jedoch an Schnitzlers Sprechen 1925 über allfälliges Rumoren verruchter Fantasien in den Köpfen ganz normaler Leute erreicht diese Inszenierung nicht. Wie auch, wo inzwischen die geheimsten Wünsche und Begierden Gegenstand wohlfeilen Geplappers auf allen öffentlichen Kanälen sind. Die  Kontroverse  zwischen „erlaubt ist, was geziemt“ und „erlaubt ist, was gefällt“ aus Goethes „Tasso“ schlägt im Hinblick auf die Erotik heute keine Funken mehr. Kein Wunder also, dass es dem jungen Theater schwer fällt, sich bei den in „Traumnovelle“ behandelten Nöten Spötteleien zu verkneifen.  

Am Rande von Franziska Bornkamms spartanischer Einheitsbühne aus Bett, Schrank, Tisch, Sessel sitzt die ganze Zeit über ein Musiker, webt mit der E-Gitarre Klänge von Einsamkeit und Sehnen in den Raum. Es ist, als erinnere sich die Musik noch am ehesten an das Gewicht der Schnitzlerschen Träume.
                                                                                   Andreas Pecht

Info: www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck am 15. September 2009)


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