Kolumne »Guten Tag allerseits«
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Geschrieben im Januar 2009
Guten Tag allerseits,
28.01.

Der derzeitige Stauffenberg-Hype kann einem, mit Verlaub, auf den Wecker gehen. Darf ein Schauspieler, der Scientologe ist, den deutschen Widerstandshelden spielen? So gedacht, würde auch die Frage nahe liegen: Ist es legitim, dass ein britischer Sir und Quäker mit jüdischen Vorfahren (Ben Kingsley) auf der Leinwand erst Ghandi mimt, dann Lenin? Eine blödsinnige Nebendiskussion, die allerdings eines offenbart: Deutschland hat sich in Stauffenberg mal wieder einen Heiligen geschaffen, auf den es kein Stäubchen, erst recht keinen Schatten kommen lassen will. Stauffenberg wird als Symbol des anderen, des anständigen Deutschen verehrt bis angebetet - und dient auf diese Weise als Mittel kollektiver Exkulpation.

Die wichtigere Diskussion wäre: Bei genauerem Hinsehen erweist sich der Herr Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg - bei aller Sympathie für seine letzte Tat - als die falsche Galionsfigur für den deutschen Widerstand. Warum? Weil er, wie die meisten adlig-konservativen "Oppositionellen" im Offizierskorps der Wehrmacht, erst zum Hitler-Gegner avisierte, als der Krieg unübersehbar unumkehrbar verloren ging. Solange deutsche Heerscharen die Hakenkreuzfahne siegreich durch die Welt trugen, waren von den Herrschaften keine Einwände zu hören, erst recht kein Fingerkrümmen zwecks Widerstand zu sehen. Die zwingende Frage lautet deshalb: Wie hätten sich Stauffenberg und Co. verhalten, wäre stattdessen Nazi-Deutschland erfolgreich geblieben und zur weltbeherrschenden Supermacht aufgestiegen?   Angesichts von Stauffenbergs hingebungsvoller Getreuenschaft gegenüber dem Führer in den ersten Kriegsjahren fällt die Antwort ziemlich eindeutig aus - und muss sich im selben Augenblick der Heiligenschein des Obristen in Nichts auflösen.

Die Widerstands-Ehre gebührt anderen: Nämlich all den Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen, Juden und Bürgern, die mit ihren einfachen Mitteln dem Unrechtsregime von Anfang an Widerstand leisteten. Und die 1944, als Stauffenberg zum Bombenbastler wurde, längst aufgehängt, erschossen, vergast, zu Tode geschunden oder ins Exil geflohen waren.    


27.01.

Es gibt in dieser frühen Phase des Epochenumbruchs seltsame und oft nur schwer begreifliche oder durchschaubare Erscheinungen. Eine davon ist der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Immer wieder muss man sich angestrengt ins Gedächtnis rufen, dass der kleine Mann von Hause aus nicht dem linken Spektrum  von Frankreichs Parteien angehört, sondern als Kandidat der konservativ-gaullistischen UMP ins Präsidentenamt gewählt wurde. Dem entsprach zu Anfang seiner Amtszeit die reaktionäre Politik bei allen Migrationsfragen oder das brachiale, auf neoliberale Öffnung ausgerichtete Vorgehen gegen diverse sozialstaatliche Standards im Land. Dazu passt auch sein rüde-autoritärer Umgang mit ihm gegenüber kritischen Journalisten.

Dann kam Frankreichs EU-Vorsitz, kam die Finanzkrise. Und siehe, der Mann geriert sich plötzlich, als wolle er mit fliegender Trikolore die Grande Nation noch vor allen anderen Ländern auf den von Hans-Ulrich Jörges im "Stern" postulierten Dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus führen. "Verstaatlichung der Schlüsselindustrie" war der wohl erstaunlichste seiner vielen erstaunlichen Vorschläge. Gestern nun ist eine neue Sarkozy-Initiative bekannt geworden, bei der man sich die Augen reibt: Mit einem millionenschweren Programm will er die französische Zeitungslandschaft im Print- und Onlinebereich stützen und zugleich die Kultur des Zeitungslesens unter Jugendlichen fördern. Vor wenigen Monaten noch hätte das den Schluss nahegelegt: Erst bringt er die Blätter auf ihm genehme Linie, dann kümmert er sich um deren Publikumswirksamkeit.  Mithin würde es sich um ein Förderprogramm zum Eigennutz des Präsidenten handeln. So heute noch zu argumentieren, fällt schwer. Der Mann gibt fürs erste allerhand Rätsel auf.

Weitere Infos zu Sarkozys Förderprogramm für die Zeitungen zB  in der heutigen "Berliner Zeitung"
www.berlinonline.de...


25.01.

Irgendwann am gestrigen Samstag landete auf dieser website der 200 000. Besucher seit Aktivierung des Zählwerks im Frühjahr 2006.  Herzlich willkommen! Wer es ist, weiß ich natürlich nicht. Vielleicht eine/r aus der kleinen brandenburgischen Besuchergemeinde, die sich neuerdings rege zuschaltet. Wahrscheinlich aber war es ein Leser aus dem Westen/Südwesten Deutschlands, von woher nach wie vor die meisten der regional erfassbaren Zugriffe kommen.

Bei dieser Gelegenheit sei noch einmal hingewiesen auf meinen Service für Interessierte, die mit ihrer Zeit streng wirtschaften müssen: Abonnieren Sie das kostenfreie eMail-Rundschreiben, das Ihnen stets einen kurzen Hinweis übermittelt, wenn neue Texte auf www.pecht.info eingestellt worden sind und wovon sie handeln.
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20./21.01.

Alle Welt redet von Barack Obama. Ich tu's natürlich auch. So große Erwartung! So viel Hoffnung! Auf Änderung, Vernunft, Verständigung, Gerechtigkeit - auf das Ende der blindwütigen Profitmacherei, der Fundamentalismen, der Kriegstreiberei, der Zerstörung unserer Umwelt..... Wie sagte Kleber am Inaugurations-Tag: "So sieht es aus, wenn eine Demokratie Revolution macht." Man möchte es zu gern glauben, aber die Zweifel nagen unaufhörlich: Zu oft haben wir schon sehen müssen, wie Pferde kotzen,  Revolutionen ihre Kinder fressen und Hoffnungsträger im Sumpf ersaufen.

Zur Sache siehe die beiden Kommentare

2009-01-21 Kommentar:
Zum schnellen Vorstoß Obamas in Sachen Guantanamo-Lager


2009-01-20 Kommentar:
Anlässlich der Amtseinführung von Barack Obama als Präsident


19.01.

nach einer zwar anstrengenden, aber wunderbar lebhaften und auch sehr lehrreichen Seminar-Woche mit Jugendlichen im sozialen Jahr/Kultur, wieder zurück im Alltag. Der was bietet? Eine "Mutter Courage" am Stadttheater Koblenz, die passionierte Brecht-Freunde wenn nicht auf die Palme, so doch ziemlich aus der Fassung bringt (siehe nebenstehenden Link zur Kritik). Was noch? Eine entschiedene Hessen-Wahl, die über die Hessen nicht viel mehr verrät, als dass sie die Faxen dick haben. Die größte Partei ist die der Nichtwähler (40 %), das Gros der Zuwächse bei Gelb und Grün resultiert aus "Enttäuschung" über Rot und Schwarz. Die CDU steht so schwach da wie nie, die Sozis sind vollends abgesoffen. Es herrscht Instabilität auf allen Ebenen, doch die Wahl bringt die klarste (stabilste?) Regierungsmehrheit seit Jahrzehnten hervor. Selten hat eine Wahl in der Bundesrepublik die tatsächliche Lage so verschleiert wie diese. Die mutwilligen Fehldeutungen der Polit-Matadoren waren denn auch selten so hanebüchen wie gestern und heute.

Ein letztes Wort zu Ypsilanti: Sie ist das (machtgeile und deshalb nicht ganz schuldlose) Opfer einer strategischen Fehleinschätzung der LINKEN durch die SPD und des daraus folgenden taktischen Fehlers, der letztlich zum "Wortbruch" führen musste. Es war schon bei der letzten Hessen-Wahl klar, dass Deutschland sich aufs Fünf-Parteien-System einstellen muss. In dieser Situation eine Koalition auch mit der LINKEN kategorisch und grundsätzlich auszuschließen, ist ein Unding. Gerade die SPD hätte diesbezüglich ihre Weimarer Lektion eigentlich gelernt haben sollen. Wenn schon nicht dies, so hätte doch wenigstens der Gedanke Pate stehen sollen, dass am Ende das Land stets regiert werden muss. Weshalb es vernünftig gewesen wäre, hätten die Sozis damals die Linie verfolgt (und würden das auch künftig tun): Wir schauen uns das Wahlergebnis an und erkunden dann, mit welchem Partner am meisten sozialdemokratische Politik umsetzbar ist. Mag sein, dass so ein paar Stimmen aus dem bürgerlichen Segment verloren gehen. Aber an den Schaden, den der "Wortbruch" angerichtet hat, käme das bei weitem nicht heran.

Und noch ein Lektüre-Hinweis: Hans-Ulrich Jörges ist m.W. der erste Leitartikler, der in der überregionalen bürgerlichen Presse  Deutschlands die Entwicklung rund um Finanz- und Wirtschaftskrise als welthistorischen Umbruch zuspitzt auf die Möglichkeit eines dritten Weges zwischen Kapitalismus und Sozialismus. In seinem Zwischenruf im "Stern" dieser Woche (Nr. 4, 15.1.09) schreibt er "Der Fall der Wall Street ist für den Kapitalismus das, was der Fall der Mauer für den Kommunismus war. - Ein Mischsystem aus Kapitalismus und Sozialismus entsteht."

 

10.01.

Kleine Ergänzung zum nebenstehenden Kommentar (der für die Zeitung in der Länge begrenzt war) über die ersten 122 Realenschulen plus in Rheinland-Pfalz:
500 neue Lehrerstellen zusätzlich wurden angekündigt. Das ist gut, aber noch immer zu wenig. Für die Orientierungsstufe wurde die Herabsetzung der Klassenmesszahl auf 25 Schüler beschlossen. Das war längst überfällig, aber 25 sind noch immer viel zu viele Schüler. Dass es in den höheren Klassenstufen bei einer Messzahl von 30 bleibt, ist völlig inakzeptabel.

Und grundsätzlich: Bei allem Verständnis für die Taktik des Ahnen-Ministeriums, die Akzeptanz für den Systemumbau durch tausenderlei Splittingmodelle und Übergangsphasen zu erhöhen - man sollte jetzt doch etwas zügiger daran gehen, das Wirrwar der Schulformen zu verschlanken auf jene, die bleiben werden.

Und noch ein Gedanke. Im Hinblick auf die demographische Entwicklung wäre es m.E. vernünftig, wenn einige Langzeitstrategen sich mal den Kopf über Folgendes zerbrechen würden. Zurzeit entwickelt sich die Schullandschaft tendenziell nach der Gesetzmäßigkeit: Je weniger Schüler, umso stringenter deren Konzentration auf immer weniger Schulstandorte.  Auf Jahrzehnte hochgerechnet, ergäbe sich daraus eine weitgreifende Entblößung der ländlichen Kommunen von Schulen (auch Kindergärten) - und damit zwangsläufig ihr Wertverlust als Wohn- und Lebensraum.

Die Frage nach Alternativen führt zu dieser Überlegung: Lässt sich eine Form von KLEINSCHULE vorstellen, die logistisch und vor allem pädagogisch Sinn macht? Wie klein dürfte/könnte die sein - wenn  man mal alle gegenwärtigen Gewohnheiten, Verwaltungs- und Strukturnormen radikal ausklammert? Denken wir uns eine Einheitsschule, in der ALLE Kinder bis zum 8. oder 10. Schuljahr gemeinsam lernen; Fächer-übergreifend, Jahrgangs-übergreifend etc. Ausgestattet mit modernsten Lehr- und Lernmitteln sowie einem kleinen, aber engagierten Kollegium. Ich könnte mir vorstellen, dass so eine Schule auch mit nur 80 bis 100 Schülern sehr gut funktioniert. Mal ganz offen andenken!!!

Und noch eine Anmerkung zum Konjunkturprogramm, das Beck und Hering gestern in Mainz verkündeten: Jetzt das größte Straßenbauprogramm aller Zeiten in Rheinland-Pfalz aufzulegen ist, zurückhaltend ausgedrückt, eine kurzsichtige, falsche Weichenstellung. Die Zukunft unserer Kinder liegt nicht auf der Straße, und vor allem dem Norden von Rheinland-Pfalz werden in absehbarer Zeit die größten Schwierigkeiten daraus entstehen, dass er in der Fläche bei Verkehrsmitteln jenseits der Straße ein weltvergessener Nachtwächter ist.


06.01.


herzlich willkommen im Jahr 2009 - dem die Auguren schon vorab so viel Schlechtes angehängt haben, dass es einem Wunder gleichkäme, würde es anders als ganz mies verlaufen. Aber mit den Auguren, Prognostikern, Analytikern verhält es sich heuer wie mit den Wahrsagern: Sie lesen mehr im Kaffeesatz, in den Sternen oder im Gegrummel der eigenen Eingeweide, weil sie so wenig wie unsereins begreifen, was tatsächlich vor sich geht. Zu viele Krisenfaktoren treffen gleichzeitig und unter Bedingungen aufeinander, die es zuvor nie gegeben hatte. Weshalb die gängigen Prognoseinstrumente sich als weitgehend nutzlos erweisen und die meisten Vorhersagen für die wirtschaftliche  Entwicklung der nächsten Monate und Jahre kaum zuverlässiger sind als das kölsche "s' kütt wie's kütt".

Das ist ziemlich schlecht für alle diejenigen, die unter dem Druck stehen, tagespolitisch etwas zur Abwendung oder Abmilderung der Finanz- und Wirtschaftskrise unternehmen zu müssen. Denn genaugenommen wissen sie nicht wirklich, was sie tun. Konsumankurbelung durch Steuer- und Abgabenerleichterung ist ein netter Gedanke; auch mir kämen ein paar Euro mehr im Sackerl nicht ungelegen. Wem schon. Was täte ich damit? Im Moment aufs Sparbuch legen - in der Befürchtung, 2009 könne wirklich so arg werden wie geweissagt. "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not" lautete die entsprechende Maxime bei den Altvorderen.  Ein Vernunft-Erbe, das Wirtschaftsgrößen und Politik derzeit zur Weißglut treibt. Denn: So wird's nix mit der Konsumankurbelung.

Trotzdem setzen die deutschen Konjunkturpaket-Schnürer zentral auf Kaufkraftstärkung, wohingegen die amerikanischen unter dem Kommando des Herrn Obama offensichtlich viel mehr auf Investitionen in den nachhaltigen Ausbau und Umbau der Infrastruktur bauen. Welche Unterschiede zwischen den USA und Deutschland sind so gravierend, dass sie derart unterschiedliche Stoßrichtungen im Vorgehen begründen könnten? Mag sein, es ist ganz simpel: Die USA haben eben gewählt, Deutschland wählt im Herbst. Wollte man böse, ließe sich das deutsche Verfahren interpretieren als Versuch der in den Wahlkampf ziehenden Parteien, Wählerstimmen mittels Handgeld zu kaufen. Klingende Münze in der Hand des Bürgers macht eben auf die Schnelle mehr Effekt als der Ausbau von Schulen, Verkehrs- und Kommunikationsnetzen. Sinnvoll ist das deshalb noch lange nicht.

Damit sie im publizistischen Alltagsgetriebe nicht gleich wieder untergehen, sei hier noch einmal auf die beiden Essays hingewiesen, die ich zur Jahreswende eingestellt habe:

2009-01-01 Neujahrsessay:
Der Staat als letzter Retter aus der Not. Vom Ende der neoliberalen Heilslehre

       
2008-12 Essay:
 Suche nach einer Bürgerlichkeit für das 21. Jahrhundert

   

Wünsche Erhellung und Anregung
bei der Lektüre nebenstehender neuer Texte
Andreas Pecht

2008-12 Guten Tag allerseits:
Vom Monat Dezember 2008


2008-11 Guten Tag allerseits:
Vom Monat November 2008


2008-10: "Guten Tag allerseits"
vom Monat Oktober 2008