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2013-11-12 Schauspielkritik:

„Metropolis“ im digitalen Zeitalter


Versuch in Bonn, aus dem Stummfilm-Klassiker ein heutiges Bühnenstück zu machen 

 
ape. Bonn. 2011 ließ Regisseur Jan-Christoph Gockel im Staatstheater Mainz Schillers „Räuber“ mit einer Modelleisenbahn Mordbrennerei spielen. Im März 2013 führte er an gleicher Stelle mittels Handpuppen die Märchendimension in sein Projekt über Leben und Werk der Gebrüder Grimm ein. Puppen benutzt er jetzt auch in der Halle Beuel des Theaters Bonn: Als bizarre Kunstdoubles der sieben Protagonisten sollen sie in der Bühnenverarbeitung von „Metropolis“ Sinnbild der heutigen Selbstausbeutung des Menschen sein.
 


Fritz Langs Stummfilm von 1925 als Bühnenstück, geht das überhaupt? Schließlich ist der Film, abgesehen von einigen Zwischentiteln, sprachlos. Und er lebt mehr von bildmächtigem Symbolismus denn einer geschlossenen Gesamtdramatisierung mannigfacher Erzählmotive. Die da wären: Klassenspaltung in maschinelle Arbeiterhölle und luxuriöses Kapitalistenparadies; Vater-Sohn-Konflikt; Liebesgeschichte; Frankenstein-Story; Revolutionsepos...

Um es gleich zu sagen: Die Bonner Inszenierung ist ein interessantes Experiment, wird aber letztlich der Sache nicht Herr. Weil sie von keinem Aspekt lassen kann und sich beim Bemühen um vieldeutige Komplexität verheddert. Weil sie visuell und mit neuem Soundtrack die Opulenzwirkung des Films anstrebt, zugleich aber auch Kammerspiel und hippes Kabarett sein möchte. Weil sie obendrein inhaltlich den Sprung von der äußeren Ausbeutungsmechanik der alten Schwerindustrie zur digital erzwungenen Selbstoptimierung im modernen Büro machen will.

Damit nicht genug, greift der dreistündige Abend auch noch den filmhistorischen Metadiskurs über vermeintlich faschistoide Ansätze in Langs „Metropolis“, mehr noch im zugrunde liegende Roman der Thea von Harbou auf. Schon in Mainz hatte Gockel bei „Grimm. Ein deutsches Märchen“ zu viel gewollt, aber doch einiges erreicht. Das Bonner Konglomerat aus Puppen- und Menschenspiel, Innen- und Außensichten, Cineastik und Theatralik, monologischem Reflexionstext und szenischer Metaphorik bleibt indes konfus.

Immerhin verstehen wir den Grundgedanken von Gockels „Metropolis“. Danach ist der arbeitende Mensch heute nicht mehr dumpfes Anhängsel der Maschine wie bei Lang, sondern macht sich quasi freiwillig jederzeit und allerorten zum selbsttätigen Teil der digitalen Maschinerie. So erschließt sich, warum in der Halle Beuel am Beispiel der Maria allmählich verschwimmt, wer Roboter ist und wer Mensch: Die von Mareike Hein mit bemerkenswerter Disziplin mechanisierte Frau gleicht sich immer mehr ihrem Marionetten-Doubel an. Will sagen: Nicht Roboter übernehmen die Herrschaft, sondern wir Menschen verwandeln uns willig in Roboter.

In den vielen Versatzstücken einer vagen Handlung wird deutlich, dass im neuen Bonner Ensemble einige weitere Talente stecken, hier vorneweg Hajo Tuchy als naiv schäumender Kapitalistensohn Freder. Allerdings sind viele Figuren oftmals in heftige Erregung versetzt und schreien sich darob die Seele aus dem Leib. Was meist weniger sinnhaft ist als der Stückschluss: Da fällt die  Metropolis-Fabrikwand um und öffnet sich am jenseitigen Ende des Bühnenraums ein Tor ins reale Freie. Dorthin zieht es die Moderne-Zombies, auf dass sie in Pelze gehüllt und an Knochen nagend beim Tanz um einen Baum als Frühmenschen ganz von vorne anfangen – und es diesmal vielleicht besser machen.
                                                                                     Andreas Pecht


Infos:  >>www.theater-bonn.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 13. November 2013)

                                                   ***

Besprechungen von Jan-Christoph Gockels Inszenierungen in Mainz:

∇ 2013-03-11 Schauspielkritik: Jan-Christoph Gockels Projekt "Grimm. Ein deutsches Märchen" am Staatstheater Mainz

∇ 2011-12-18 Schauspielkritik:
Schillers "Die Räuber" am Staatstheater Mainz. Regie: Jan-Christoph Gockel


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