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2016-06-29 Schauspielkritik:

Stefan Zweigs Roman "Ungeduld des Herzens" als Bühnenstück

In Wiesbaden hat Tina Lanik fabelhafte Theaterfassung von Thomas Jonigk zum intensiven Abend inszeniert
 
 
ape. Wiesbaden. Das Kleine Haus des Wiesbadener Staatstheaters vollbesetzt, obwohl das EM-Spiel Deutschland vs. Slowakei noch läuft. Im Publikum nicht nur Fußballmuffel, das zeigen bis kurz vor Aufführungsbeginn viele Blicke via Smartsphone nach Frankreich. Dann aber ist Aufmerksamkeit für die letzte Schauspielpremiere der Saison gefordert – die Theatralisierung von Stefan Zweigs Roman „Ungeduld des Herzens” aus dem Jahr 1939.




Wieder ursprünglich nur zur Lektüre gedachte Literatur auf die Bühne gezwungen? Ja, dieser Trend an den Theatern will nicht enden, mag die Mehrzahl der Ergebnisse auch überflüssig bios fragwürdig sein. Der jetzige Versuch in Wiesbaden gehört indes zur kleinen Gruppe gelungener Romantheatralisierungen und ist dort ein Glanzpunkt der auslaufenden Spielzeit. Dramatiker Thomas Jonigk hat eine fabelhafte, gut spielbare Theaterfassung geschaffen. Gastregisseurin Tina Lanik hat daraus eine atmosphärisch dichte Inszenierung gemacht, die ganz auf die realpsychologische Darstellungskraft des sechsköpfigen Ensembles baut.

Hofmiller, ein schüchterner Leutnant, verkehrt im Haus des Millionärs Kekesfalva. Er wird zum Freund der gehbehinderten Tochter Edith. Ihr gaukelt er schließlich aus Mitleid Liebe vor. Zu seiner Verlobung mit ihr mag er unter den Armeekameraden nicht stehen. Davon erfährt Edith – und bringt sich um. Der scheinbar so einfache Plot birgt eine Menge Fragen über richtig oder falsch im Miteinander der Menschen, nicht zuletzt über die Zweischneidigkeit von Mitleid. 

Ist es menschlich oder verwerflich, dem Vater (Roland S. Blezinger) und der behinderten Tochter vorzulügen, es könne Heilung geben? Ist es menschlich oder verwerflich, dass der junge Mann mit vorgetäuschter Liebe der Behinderten Zeiten von Glücksempfinden schenkt, dann aber flieht vor einer Verantwortung, die ihn selbst zu zerstören droht? Ist es schändlich oder verständlich, wenn der Arzt (Marco Massafra) keine klare Auskunft gibt über die Erfolgsaussichten seiner Behandlung? Ist es schändlich oder verständlich, dass Kekesfalvas Nichte Ilona (Kruna Saviæ) trotz ihrer Fürsorge für Edith den Hofmiller quasi heimlich verführt?

Das intensiv mehrschichtige Spiel von Nils Strunk als Hofmiller und Barbara Dussler als Edith machen empfindbar, dass nichts so einfach ist, wie es der kühlen Ratio erscheinen mag. Wenn in der an Krücken sich abquälenden jungen Frau ein beglücktes Hoffen aufglüht, wird der Moment zum Wert an sich. Groß und bestürzend auch, wenn Dussler mit Mimik, Stimme, Haltung wieder in die Düsternis des Bangens hinabgleitet oder wütend aufbegehrt gegen Mitleid, das ihrer Behinderung gilt, ihr Frausein aber ausblendet. Was wäre da jeweils angemessenes Verhalten? Strunk lässt seinen Leutnant durch ein Labyrinth konträrer Empfindungen irren. Und wie er fühlt sich bald jeder Zuseher hilflos am Bett eines leidenden Mitmenschen.

Ohne Bruch gehen die Szenen ineinander über, ein mehrwöchiger Prozess wird zu zwei Stunden verdichtet. Auf Stephan Hageneiers Einheitsbühne – aus Kaffeehausmobeln a la Thonet mit einem fürs frühe 20. Jahrhundert typischen schmiedeeisernen Fahrstuhl mittendrin – zählt Karoline Reinke mit Klavier und Akkordeon die Zeit bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges herunter. Diese gespenstisch weiß geschminkte Figur ist ein Historiengeist, der weiß, was war, ist und sein wird, im Hause und in der Welt.

Am Ende geben Jonigk und Lanik ihr Stück an den Roman zurück: In einem langen Monolog erzählt und reflektiert Nils Strunk dem Buche gleich einsam über das vergebliche Vergessenwollen seiner „Schuld” im Getümmel der Kriegsschlächterei. Ein großer Stoff in einem diesmal großartigen Bühnenspiel.

Andreas Pecht


Infos: >>www.staatstheater-wiesbaden.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 27. Juni 2016)

                                     

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