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2009-04-27 Schauspielkritik:

Schnitzlers "Das weite Land" am Staatstheater Wiesbaden. Regie: Hermann Schmidt-Rahmer


Betrug vor aller Augen und Ohren
 
ape.  Gleich zu Angang tritt ein Mann auf und erschießt sich. Niemand räumt die Leiche weg. Sie bleibt im Staatstheater Wiesbaden mitten auf der Bühne liegen, wann immer dort  Arthur Schnitzlers Stück „Das weite Land“ im Hause des Glühbirnen-Fabrikanten Hofreiter spielt, also die meiste Zeit. Die Großbürger steigen achtlos über den Toten hinweg – diesen Unglücklichen, der sich umbrachte, weil die Hausherrin ehelicher Treue den Vorzug vor einer Liebelei mit ihm gab.

Die Leiche auf dem Boden als Dauersymbol für die vertrackte Weite menschlicher Seelenlandschaft ist nicht das einzig Surreale in Hermann Schmidt-Rahmers Inszenierung der Tragikomödie  von 1909. Den zweiten Handlungsort, ein Hotel im Gebirge, verwandelt Bühnenbildner Michael Springer mit roten Glühbirnen (!) und  Baumstämmen zur Zwischenwelt. Was sich an Liebes- und Lustverwirrungen dort abspielt, taucht die Regie in schummriges, von Libido durchtränktes Halbdunkel.

Konträr dazu spielen sich die Ereignisse in Hofreiters Villa (leere Bühne, darauf nur ein paar Stahlrohrstühle) unter grellem Weißlicht und ständiger Präsenz vieler Mitspieler ab. Da bleibt nichts verborgen: Nicht der Kampf zwischen dem untreuen Fabrikanten und seiner Gattin Genia, deren Treue ihm zuwider ist; nicht die Spannungen zwischen ihm, seiner Ex-Geliebten Adele und deren Ehemann Natter; nicht das geile Tändeln zwischen ihm und der jungen, feschen Erna.

Alles geschieht vor aller Augen und Ohren – womit die Inszenierung einen der hintergründigen Gedanken des Stückes sinnfällig ins Bild setzt: In dieser Gesellschaft weiß jeder vom Betrug des anderen,  und doch tut man lächelnd, plaudernd, tennisspielend, als sei alles normal – ein Gesellschaftsspiel eben. Freilich eines mit tödlichen Gefahren: Siehe die herumliegende Leiche; siehe das Duell zum Ende, bei dem  Hofreiter den Geliebten tötet, den sich seine frustrierte Genia dann doch noch zulegte.

Die surrealen Komponenten fügen sich stimmig in den Abend, der ansonsten überwiegend auf ruhig-intensive Charakterdarstellung quasi-realistischen Kammerspiels setzt. Uwe Kraus liefert einen saftig-selbstbewussten Hofreiter, Susanne Bard eine in tiefem Ernst mit ihren Ambivalenzen ringende Genia.  Lissa Schwarm formt ihre Erna als görenhaft-lustvoll mit den Neigungen der Männer spielende Lulu-Type. Auch das übrige Ensemble macht mit feinen Rollenzeichnungen einen guten Eindruck.
                                                                                        Andreas Pecht

(Erstabdruck am 28. April 2009)


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