Kritiken Theater | |||
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2009-06-01 Schauspielkritik: | |
Deutschsprachige Erstaufführung von Polly Stenhams „That Face“ in Bonn: Beklemmende Mittelklasse-Tragödie Wenn Familienleben zur Hölle wird |
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ape. Bonn.
Der Vater vor Jahren entfleucht in eine neue Familie. Die Mutter,
Martha, ist Trinkerin und depressiv. Sohn Henry will sie „retten“, hat
dafür die Schule geschmissen. Tochter Mia drängt den Bruder, sich nicht
an dem hoffnungslosen Fall aufzureiben. |
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Polly
Stenham hat mit „That Face – Szenen einer Familie“ eine bittere, genaue
Beobachtungen schmerzhaft klar verdichtende Mittelklasse-Tragödie
geschrieben. Bei der Londoner Uraufführung 2007 war die Autorin 19
Jahre alt, sie gilt seither als großes Talent europäischer Dramatik.
Das Schauspiel Bonn gab jetzt die Deutschsprachige Erstaufführung in
einer drastisch zugespitzten Inszenierung von Jens Kerbel. Der Bühnenraum in Reih und Glied ausgelegt mit Bettdecken, mittig steht ein richtiges Bett. Das sind mehrere Spielorte in einem: Vornehmlich die Wohnstätte von Mutter und Sohn, daneben auch der Schlafsaal von Mias Internat, wo ein qualvolles Initiationsritual aus dem Ruder läuft. Das ruft den Vater auf den Plan, der zahlungskräftig die Schulkarriere der Tochter rettet und in einem Aufwasch gleich das „Kernproblem“ seiner Ex-Familie lösen will: durch Einweisung Marthas in eine Klinik. Die Textvorlage kennt als Schuldigen für die familiäre Malaise alle oder keinen. Die Inszenierung deutet hingegen in Richtung eines Vaters, der die Seinen verließ. Ihm gibt Wolfgang Rüter einen kräftigen Schlag scheinbar vernünftiger, aber seelenlos-egoistischer Autorität mit. Im Kontrast dazu steht das geregelter Normalität entrückte Zusammenleben von Mutter und Sohn. Tatjana Pasztor und Oliver Chomik weben ein wechselseitiges Abhängigkeitsgeflecht aus radikaler Hingabe und extremer Umsorgungsforderung. Die Bonner Regie führt das, etwas mutwillig, oft nahe an inzestuöse Deutung heran. Die zwiespältigste und deshalb ausdrucksmächtigste Figur ist die Mia von Maria Munkert: Ein Girlie, in dessen natürlicher Renitenz sich Hoffnung auf hilfreiche Zuwendung durch Bruder und Vater herumschlagen mit der Enttäuschung über Bruder, Vater, Mutter. Mit „That face“ wollte Stenham ein verbreitetes Familien-Phänomen thematisieren – über das keiner reden will. Andreas Pecht Info: http://www.theater-bonn.de (Erstabdruck am 2. Juni 2009) |
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