Kritiken Theater | |||
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2009-02-20 Schauspielkritik: | |
"Die goldenen letzten Jahre" von Sibylle Berg in Bonn uraufgeführt Als die Schmuddelkinder alt geworden |
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ape. Bonn. Das Schauspiel Bonn hatte ein Stück bei Sibylle Berg bestellt. Die streitbare Publizistin lieferte mit „Die goldenen letzten Jahre“ erwartungsgemäß Galliges über Schattenseiten der Gegenwart. Erstaunlicherweise inszenierte nicht Bergs Leibregisseur Niklaus Peter Helbling die Uraufführung, sondern die zuletzt auch in Mainz wiederholt aktive Schirin Khodadadian. Sie hat für die Bonner Werkstatt aus der bitteren Sozialgroteske eine schrille Farce gemacht. |
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Vier
Gestalten auf einem ollen Sofa vor skurriler Dschungeltapete
(Ausstattung: Carolin Mittler). Aus den Lautsprechern piepst, grunzt,
knurrt, was im Urwald kreucht und fleucht. Die Szenerie tendiert
vom ersten Moment an ins Surreale, die Personenzeichnung ist danach.
Die da dicht gedrängt hocken, dabei infantil grinsen, Nägel kauen oder
einfältig stieren, sind Karikaturen auf alt gewordene Kinder. Denen
kommen beim Klassentreffen Erinnerungen hoch – an Drangsal, die
sie als Außenseiter erlitten haben. Hinterm Sofa zerren sie ihren alten Lehrer hervor (Ulrich Hass), der die vier rückblickender Beurteilung unterzieht. Paul (Günter Alt), ein fettleibiger, rothaariger Einnässer. Uwe (Anke Zillich), ein spuckendes, stinkendes Grantelkind. Bea (Susanne Bredehöft), eine von Kinderlähmung gezeichnete, Beinschienen tragende Hässlichkeit. Rita (Stefan Preiss), ein Mädchen, das „sich durch nichts auszeichnete“. Bergs Stück erwischt diese Gestalten in einem Augenblick, da sie die Unbilden ihrer Existenz als Außenseiter hinter sich haben. Weil sie niemals schön, wichtig und geachtet waren, haben sie im Alter auch nichts zu verlieren. „Diese goldenen letzten Jahre, die uns noch bleiben bis zum Schluss. Wir werden sie entspannt genießen, wenn es denn schon sein muss“, heißt es in einem der famosen Songs dieses Stückes, von Michael Barfuß im Brecht/Weill-Stil auskomponiert. Am Ende können die vier gelassen leben, während die Normalos zittern um Anerkennung, Schönheit, ewige Jugend. Doch vor das Ende ist die Bitternis der Schmuddelkinder-Erfahrungen gesetzt. Spott, Häme, Abscheu, Boshaftigkeit ergossen sich über sie. Einfache Jobs gaben Hoffnung auf „normales“ Dasein. Doch die Stinker, Spucker, Unschönen wollte keiner behalten. Sich erinnernd, schlüpfen Bea, Uwe, Paul und Rita auch in die Rollen ihrer Quälgeister von der Sonnenseite des Lebens. Rollen- und Perspektivenwechsel fließen übergangslos ineinander. Rückblickende Außendarstellung verschmilzt mit augenblicklichem Nachempfinden damaliger Qual und gleichzeitig ätzend kommentierender Erhebung über diesselbe. Diese bisweilen verwirrende Konstruktion ist die starke, von allen Beteiligten auch stark gespielte Seite des Stückes. Die surreale bis satirische Manier trägt ausgezeichnet, solange es bei hintergründiger Tragikomik bleibt. Doch wie bei dieser Regisseurin mehrfach erlebt: Khodadadian kann vom lauten Effekt nicht lassen, muss ihr Personal partout immer wieder zum Kreischen, Ringen, Toben animieren. So werden erst sorgsam aufgebaute Stimmungen leider bald wieder zerschossen. Andreas Pecht Info: www.theater-bonn.de (Erstabdruck am 21. Februar 2009) |
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