Kolumne »Guten Tag allerseits« | |||
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Sie finden hier die gesammelten Intro-Texte aus der Startseite von www.pecht.info im Monat Februar 2008 (beginnend beim ältesten Text, abwärts zu den jüngeren fortschreitend) |
2008-02-05: |
Guten Tag allerseits, |
Fastnacht/Karneval 2008 liegt in den letzten Zügen. Ich habe mir
erlaubt, für die närrischen Tage dem Rheinland zu entfliehen und mich
nach sehr langer Zeit mal wieder in Berlin umzuschauen. Davon demnächst
mehr. Für den Moment nur dies: Man kann über manches in der Hauptstadt
den Kopf schütteln, aber das dortige öffentliche Nahverkehrswesen mit
U-, S- und Straßenbahn plus Bussen ist ein Prachtstück. So muss es
sein: Jederzeit überall hinkommen, dann klappt's auch mit der
Fahrgastfrequenz. Man muss halt ein verlässliches, dichtes Netz
anbieten, statt über ausbleibende Fahrgäste in nur noch sporadisch
verkehrenden Bussen und Bahnen zu meckern. Wenn die Fahrt von
Ransbach-Baumbach nach Koblenz zur Tagesreise wird, muss sich niemand
über leere Busse wundern. Profit ist freilich auch in Berlin mit dem
Netzbetrieb nicht zu machen. Ein funktionierender, sinnvoller, das Auto
verdrängender öffentlicher Nahverkehr wird immer eine gemeinnützige
Staatsaufgabe bleiben (müssen). Ein Wort noch zur zwischenzeitlich stattgehabten Parteipolitik: Was da recht aufgeregt nun in SPD und CDU als Frage von "Linksruck" versus "Wirtschaftskompetenz" diskutiert wird, ist die Auswirkung der (gar nicht so) neuen Sozialen Frage auf die Parteienlandschaft. Die Marktlibertinage, der sich bis vor kurzem noch alle von Schwarz bis Grün verpflichtet fühlten (= "Standort fit machen für globalen Wettbewerb") ist beim Gros der Bevölkerung in Ungnade gefallen. Zu arg das Gefühl, dass Opfer just nicht jenen nützen, die Opfer bringen, und die Ergebnisse der Mühen von verantwortungslosen Unersättlichen in Konzern- und Bankzentralen abgeschöpft und/oder verzockt werden. Trügt dieses Gefühl? Eher nicht - weshalb die Parteien ziemlich ratlos dastehen: Zerrissen zwischen 80 Prozent Bevölkerungsmehrheit, die mehr soziale Verantwortung einfordert, und eigener politischer Hörigkeit oder Einfallslosigkeit gegenüber dem Toben des Turbokapitalismus nebst völlig aus dem Ruder laufenden Finanzmärkten. |
2008-02-12: |
Guten Tag allerseits, |
nebenstehender Link "2008-02-12 Essay" führt sie zu einem analysierenden Langkommentar, der versucht, die mit dem Hessen-Wahlkampf ebenso wild aufschäumende wie aus dem Ruder laufende Diskussion um Jugendgewalt in Deutschland auf die sachlich wichtigen Kernfragen zurückzuführen. Ich bitte Leser aus kriminologischen, sozialwissenschaftlichen und pädagogischen Fachkreisen um Nachsicht für einige Verkürzungen und Vereinfachungen sowie die Ausbreitung mancher "Selbstverständlichkeit". Der Aufsatz erscheint erstmals als Zweiteiler in einer regionalen Tageszeitung und richtet sich folglich an ein denkbar breites Publikum. Er argumentiert deshalb mit Blick auch auf diverse populistische Ansichten, die unter den Zeitgenossen gerade zu diesem Thema (noch immer) verbreitet sind. |
Wünsche anregende Lektüre, Andreas Pecht |
2008-02-20: |
Guten Tag allerseits, |
man will ja nicht vermessen sein, kann sich aber dann doch den Hinweis
kaum verkneifen, dass das eigene Geschreibsel die aus ökonomistischen
Gründen mutwillig verkürzte Gymnasialzeit schon geißelte lange bevor
jetzt die ganze Medienwelt das lauthalse Maulen über diesen Unfug
angefangen hat. Offenbar brauchten Teile der Kollegenschaft den Anstoß
durch massenhaft überforderte und erschöpfte Schüler und das Murren
ihrer entnervten Eltern, um zu begreifen, das sich hier eine
funkelnagelneue Baustelle im ohnehin gebeutelten deutschen Schulsystem
auftut. Eine, mit erheblichem Unruhepotenzial. Eine auch, die einmal
mehr den blindwütigen Wirtschaftlichkeits- und Nützlichkeitswahn gerade
in seiner Anwendung auf die Humanbereiche der Gesellschaft in Frage
stellt. Interessant ist, dass bis jetzt kaum ein Kommentator die
Schulzeitverkürzung selbst kritisiert. Stattdessen werden
Lernbedingungen und Lehrpläne ins Visier genommen. Vor allem wird die
"Entrümpelung" Letzterer gefordert - auf dass dann doch noch in
kürzerer Zeit eine verschlankte, eine aufs Wesentliche konzentrierte
Abiturbildung möglich werde. Wie wohl wird dieses "Wesentliche"
aussehen? Eine Hinwendung zur "Menschenbildung" dürfte damit kaum
verbunden sein. Man möchte eher auf das Nützlichkeitsprimat von
Naturwissenschaften und Sprachen für die spätere Erwerbsfähigkeit
wetten. Zuletzt hatte ich dieses Thema in meinem Neujahrsessay angesprochen, das den Lesern, die es noch nicht kennen, hiermit zur Lektüre ans Herz gelegt sei. Über den folgenden Link kommen Sie hin: ∇ 2008-01-02 Neujahrsessay: Im neuen Zeitalter der Nützlichkeit - Martwirtschaft wird Marktgesellschaft |
2008-02-28: |
Guten Tag allerseits, |
einige Zeitgenossen haben gefragt, warum ich nichts über den aktuellen
Skandal "Steuerflucht nach Liechtenstein" schreibe. Antwort: Weil das
eines jener Themen ist, die außer der konkreten Nachricht über den
Vorgang der Aufdeckung und Verfolgung keinerlei Neuigkeitswert
besitzen. Mein sonst so geschätztes Leib und-Seelen-Blatt "Die Zeit"
lag vergangene Woche einfach falsch, als es seinen wunderbaren Titel-Comic
"Ihr könnt uns gestohlen bleiben!" mit der Unterzeile versah: "Zu viele
Reiche kündigen die Solidarität mit der Gesellschaft auf". Der Satz unterstellt, es handle sich bei der vorliegenden Art von Steuerflucht um ein jüngeres Phänomen, um einen neuartigen Trend unter Alt- und Neureichen. Dem ist nicht so. Wer ein Hirn hat, sich zu erinnern, oder wer sich in der Finanzszene etwas auskennt, weiß, dass dieses Ärgernis die Geschichte der Bundesrepublik durchgängig begleitet hat. Freilich wurde meist der Mantel des Schweigens darüber ausgebreitet oder die Geldverschieberei als Kavaliersdelikt abgewunken. Das ist im Moment schwieriger, weil die Deutschen bei allem, was soziale und wirtschaftliche Fragen angeht, ziemlich dünnheutig geworden sind. Was durchaus wenig mit "typisch deutschen Neidkomplex" zu tun hat, sondern mehr mit der wiedererwachten Sensibilität für soziale Ungerechtigkeiten. Will sagen: Wir haben es mit einem altbekannten Umstand zu tun, der neuer Empflichkeiten wegen nur intensiver wahrgenommen wird. Jener Teil der wohlhabenden Schichten, der gewohnheitsmäßig Geld vor dem Fiskus versteckt, kann die Solidarität mit der Gesellschaft nicht aufkündigen, weil eine solche Solidarität ihm immer wesensfremd war. Was also sollte man dazu mehr sagen oder herumanalysieren? Das ist nun mal kapitalistische Normalität - wie auch der jetzt angekündigt Stellenabbau bei BMW und Co., trotz brummender Geschäfte. Moralisieren hilft da nicht. Selbst Jesu Forderung "gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist" verhallt ungehört, wo die Ausssicht auf einen schönen Extra-Schnitt lockt. |