Kolumne »Guten Tag allerseits« | |||
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Sie finden hier die gesammelten Intro-Texte aus der Startseite von www.pecht.info im Monat Januar 2008 (beginnend beim ältesten Text, abwärts zu den jüngeren fortschreitend) |
2008-01-01: |
Guten Tag allerseits, |
Was zum zweiten Mal stattfindet, gilt im Rheinland, zumal am
Mittelrhein, schon als traditionell. Also dürfen meine seit den späten
1990ern regelmäßig entstandenen und in der Rhein-Zeitung publizierten
Neujahrsessays guten Gewissens durchaus schon als Tradition bezeichnet
werden. Mit ihnen und dem dazugehörigen rauchenden Kopf schließe
ich jeweils die Arbeit für das vergangene Jahr ab und starte ins neue.
Dem jetzigen (siehe nebenstehend 2008-01-02) hängen Links zu allen seit
2000 verfassten Neujahrsessays an. Wer mag, kann so eine Lesewanderung
rückwärts über einige Pfade des jüngeren zeitgenössischen Diskurses
unternehmen. Ins neue Jahr möchte ich mit einem hübschen Gedanken einsteigen, der zugleich auf angenehme Art das diesjährige Neujahrsessay ergänzt. Das Zitat stammt aus Friedrich Schlegels Roman "Lucinde" von 1799; Safranskis wunderbares Buch "Romantik" hat mich darauf gestoßen: " O Müßiggang, Müßiggang! Du bist die Lebensluft der Unschuld und der Begeisterung; dich atmen die Seligen, und selig ist, wer dich hat und hegt, du heiliges Kleinod! Einziges Fragment von Gottähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradies blieb." Wünsche anregende Lektüre, Andreas Pecht |
2008-01-18: |
Guten Tag allerseits, |
im Pulverdampf der Wahlkampfkanonaden macht es wenig Sinn, über ernste
Probleme ernsthaft sprechen zu wollen. Jugendgewalt und die Gewalt
Jugendlicher mit Migrationshintergrund wäre eines der ernsten Probleme,
über die ernsthaft nachgedacht und geredet werden müsste. Solange
allerdings Herr Koch und BILD das Feld mit Kartätschen der Dummheit
beharken, hält man besser die Klappe. Denn wo das "gesunde
Volksempfinden" missbräuchlich in die Schlacht gelockt wird, ist mit
Vernunft nicht mal ein Blumentopf zu gewinnen. Ein Gedanke nur sei kurz angedeutet. Wir alle möchten, selbstredend, sicher leben wie in Abrahams Schoß. Möchten weder von Skinheads noch von "Ausländern" angepöbelt oder gar verprügelt werden. Ich hasse es, in Situationen zu geraten, wo ich mich zwischen zivilcouragierter Einmischung oder beschämendem Wegsehen entscheiden muss. Und wie schön wäre es, könnte diese Gefährdung mit einem Federstrich, sprich: einem Gesetz oder der simplen Verschärfung gesetzlicher Strafandrohung aus der Welt geschafft werden. Nur funktioniert das so leider nicht - wie Juristen, Polizisten, Sozialarbeiter und -wissenschaftler, wie wahrscheinlich auch Koch und Co. sehr gut wissen. Weshalb der Ruf nach schärferen staatlichen Sanktionen in der Bevölkerung überwiegend Ausdruck von Rat-und Hilflosigkeit ist, bei Wahlkämpfern wohlfeile Agitation und sonst oft Feigheit vor dem mühseligen Weg der tatsächlichen Problembekämpfung. Das verhält sich in Sachen Jugendgewalt ähnlich wie mit der Bekämpfung des Rechtsradikalismus. Man sieht das Problem und ruft nach einem Federstrich, in diesem Fall: NPD-Verbot. Mit dem gesetzlichen Verbotsakt (nebst Exekutierung) würde der Rechtradikalismus in keinster Weise beseitigt oder auch nur eingedämmt. Eher im Gegenteil. Man hätte zwar etwas getan, aber überhaupt nichts erreicht - außer vielleicht Gewissensberuhigung. Dem notwendig langwierigen, komplizierten, auch teuren und auf vielerlei Ebenen zu führenden Kampf um Köpfe und Herzen der Menschen würde man sich zugleich feige entziehen. Vielleicht doch noch ein weiterer Gedanke. Renter-Drangsalierung in der Münchner U-Bahn und Inder-Hatz in Mügeln: Beiden Ereignissen ist gemeinsam, dass Stärkere in rüder Brutalität über Schwächere hergefallen sind. Das sollte zivilisierten Menschen in BEIDEN Fällen für Ekel, Widerwillen, Empörung und Mitleid Grund genug sein. Bei wem auch immer nur einer dieser Vorfälle solcherart Gefühle ausgelöst hat, der sollte mal intensiv in den Spiegel schauen und nachdenklich mit sich ins Gericht gehen. Wünsche anregende Lektüre |
2008-01-28: |
Guten Tag allerseits, |
das Dumme an Kolumnen in monatlich erscheinenden Zeitschriften ist:
Wenn es in der gewöhnlich recht langen Zeit zwischen Redaktionsschluss
und Erscheinen des Druckwerks irgendwo im Weltgeschehen richtig
rummst, steht das davor Geschriebene bisweilen ziemlich betröppelt im
Abseits. So jetzt meine "Quergedanken", die dieser Tage in
Hunderttausender Auflage am Mittelrhein unters Volk kommen werden -
freilich ganz ohne Reflex auf das Ergebnis des stattgehabten
Wahlsonntags in Hessen und Niedersachsen. Die Presseschau am heutigen Vormittag ergab ein vergleichsweise eindeutiges Bild. Erstens: SPD und CDU haben beide gewonnen und verloren. Zweitens: Koch wurde für seinen auf fremdenfeindliche Ressentiments bauenden Krawall-Wahlkampf abgestraft. Drittens: Die Republik muss sich an ein Fünf-Parteien-System gewöhnen. Viertens: Wer soziale und Bildungs-Gerechtigkeit nicht auf der Agenda hat, kann sich gleich verabschieden, denn er politisiert am vorherrschenden Problembewusstsein des Volkes schlichtweg vorbei. Fünftens: Hessen steht vor einem argen Problem, insofern keine Mehrheitsregierung zustande kommt, wenn nicht wenigstens eine Partei ihrem Wahlversprechen hinsichtlich völlig undenkbarer Koalitionen abschwört. Die SPD hat sich einerseits mit ihrer strikten Ablehnung jedweden Zusammenwirkens mit der "Linken" selbst einen schweren Klotz ans Bein gebunden. (Den sie in einem stabiler werdenden Fünf-Parteien-System eher früher als später los werden muss.) Andererseits wäre eine Große Koalition - gar unter MP Koch - eine Art politischer Selbstmord, auch im Hinblick auf die Bundestagswahlen: Wortbruch, Wahlbetrug, Prinzipienlosigkeit..., mit solchen Anwürfen am Hals müssten die Sozis in die nächsten Wahlen gehen - und würden so die "Linke" wahrscheinlich flugs in den zweistelligen Bereich treiben. Man wird sehen, wer sich da wie mit wem zusammenrauft. Dass Daniel Cohn-Bendits heutiger Vorschlag zum Zuge kommt, ist unwahrscheinlich: Eine rot-grüne Minderheitenregierung in Hessen, die sich mal von der "Linken" tolerieren lässt, mal wechselnde Mehrheiten für diverse Sachentscheidungen sucht - für ein solches Procedere ist Deutschland nicht reif. Interessant bei diesen Wahlen sind vor allem die Zahlen hinter den Stimmzahlen. Die Hessen-CDU verliert überproportional bei den Wählern unter 60 Jahren; je jünger umso heftiger. Der billige Selbstzweck hinter Kochs vermeintlich mutigem Ansprechen der (Migranten-) Jugendgewalt war augenfällig, die eklige Masche stieß den Leuten einfach bitter auf. Schön, dass der fremdenfeindliche Reflex bei den Nachkriegsgenerationen so einfach nicht mehr abrufbar ist. Die SPD gewinnt überproportional bei den Jüngeren sowie bei Angestellten, Beamten und Selbständigen. Heißt was? Die bürgerliche Mitte hat in nicht unbeträchtlichen Teilen das Vertrauen in den Marktliberalismus verloren, wendet sich dorthin, wo sie am ehesten den politischen Willen zur sozial-regulativen Zivilisierung bedrohlicher Marktkräfte erwartet. Ob zu Recht, ist eine andere Frage. Zugleich indes konnte die SPD kaum Zuwächse aus der Arbeitschaft und dem Arbeitslosenheer verzeichnen. Dort nimmt man - von Schröder gebrannt - ihr das soziale Comeback einfach nicht ab. Die deutsche Sozialdemokratie hat bis auf weiteres im unteren Drittel der Gesellschaft ein schwerwiegendes Glaubwürdigkeitsproblem. Was nicht wirklich verwundert. Ihre historische Chance (und Pflicht, wenn man so will) bestünde darin, die objektive Interessens-Gemeinsamkeit zwischen der sozial bedrohten (klein)bürgerlichen Mitte und den sozial abgehängten Bevölkerungsschichten in ein politisches Movement zu überführen, das Gerechtigkeit und soziale Sicherheit auch und gerade gegenüber den Diktaten des globalen Kapitalismus als gesellschaftliches Primat durchsetzt. Und das bitte nicht nur in Phrase, Emphase und peripherem Kleinklein. Theoretisch ließe sich diese Grundforderung auch auf die Christdemokraten übertragen - frei nach der Devise: Wenn ihr nicht wollt, dass der Ökonomismus das christlich-bürgerlich-republikanische Wertegefüge vollends plattwalzt, müsst ihr daran mitwirken, ihn unter sozialverträgliche und human vernünftige Kuratel zu stellen. |