Thema Ökonomie | |||
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2008-08-09 Analyse: | |
Cockpit, Ufo, GdL, Marburger Bund ...: Kleine Spezialgewerkschaften mischen verstärkt die Tariflandschaft auf Die starken Arme der Funktionseliten |
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ape.
Bei Bahn und Lufthansa ist die Zukunft von Tarifkämpfen zu besichtigen.
Die Unternehmen haben es nicht nur mit den DGB-Gewerkschaften
Ver.di oder Transnet zu tun. Funktionseliten wie Lokführer oder
Piloten treten mit eigenen Organisationen an. Statt
branchenweiter Tarifrunden könnte bald auch anderswo ein Ringen mit
vielen Spezialgewerkschaften das Bild bestimmen. |
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Sie
wurden belächelt und gescholten, die Rituale bundesdeutscher
Tarifkämpfe meist unter Federführung der Gliederungen des
Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Doch hatten sie über Jahrzehnte
auch ihr Gutes: Verlässlichkeit, Überschaubarkeit, zeitliche
Begrenztheit. Um seine geordnete Arbeitskampfkultur ist Deutschland von
jenen europäischen Nachbarn oft beneidet worden, die häufig unter
endlosen und teils rüde geführten Konflikten mit einer Vielzahl von
Richtungs- und Gruppengewerkschaften litten. Doch scheint nun auch hierzulande die hohe Zeit der traditionellen Platzhirsche vorbei. Minigewerkschaften für oft nur kleine spezielle Berufsgruppen treten wuchtig auf den Plan. Mal sind es Neugründungen wie die Gewerkschaft für Flugsicherung mit ihren 3700 Mitgliedern oder die von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di abgespaltene Flugbegleiter- Organisation UFO mit etwa 10 000 Mitgliedern. Bisweilen mutieren vormals gesetzte Standesvertretungen wie der Marburger Bund der Ärzte (108 000 Mitglieder) zu veritablen Arbeitskämpfern. Oder es spielen ehedem unscheinbare Kleinorganisationen plötzlich eine sehr starke Rolle; etwa die Pilotenvereinigung Cockpit mit 8200 Mitgliedern oder die zuletzt auf 34 000 Köpfe angewachsene Lokführergewerkschaft GdL . Zwerge geben den Ton an Gemessen an den teils nach Millionen Mitgliedern zählenden DGB-Gewerkschaften sind sie allesamt Zwerge. Dennoch geben sie neuerdings vermehrt den Ton an. Mit hoher Konfliktbereitschaft und deutlich höheren Forderungen für ihre jeweilige Klientel kaufen die Minis den großen Gewerkschafts-tankern den Schneid ab, machen ihnen mit einigem Erfolg auch Mitglieder abspenstig. Experten gehen davon aus, dass dieser Prozess eben erst begonnen hat. Dessen Ursachen und Wirkungen erhellt ein Blick auf die jüngsten Auseinandersetzungen bei der Lufthansa. Die Piloten von Cockpit und das Kabinenpersonal von UFO denken nicht daran, den von Ver.di soeben mit dem Unternehmen ausgehandelten Abschluss fürs Bodenpersonal zu übernehmen. Denn der liegt in der Summe kaum über der Inflationsrate. Weshalb dem Streik des Bodenpersonals ein Ausstand der Cockpit-Piloten folgt. Deren bei UFO organisierte Kabinenkollegen wollen bald darauf um Gehaltserhöhungen von „mindestens 15 Prozent“ streiten. Auch die 2005 gegründete Kleinstgewerkschaft „Vereinigung Boden“ (etwa 1000 Mitglieder) lehnt das Ver.di-Ergebnis ab. Und selbst unter den bei Ver.di organisierten Lufthansa-Mechanikern ist der Unmut über den Abschluss so groß, dass nicht wenige an Austritt und Gründung einer Flugmechaniker-Gewerkschaft denken. Ein ziemliches Problempotenzial für Ver.di – fast mehr noch ein Albtraum fürs Lufthansa-Management: Eine Gruppe hoch spezialisierter Fachkräfte nach der anderen tritt mit eigenen Forderungen und je eigener Gewerkschaft in den Ausstand. Und jedes Mal treffen Streiks erneut das Kerngeschäft des Konzerns – den Flugbetrieb. Den Piloten, Ärzten, Flugmechanikern oder Lokführern ähnliche Funktionseliten gibt es auch in anderen Branchen. Je spezieller die Qualifikationserfordernisse in den Unternehmen, umso stärker die Position solcher Berufsgruppen. Und umso größer auch deren Verlockung, künftig auf die eigene Durchsetzungskraft zu bauen, statt im Solidarverbund der Einheitsgewerkschaft sich ans Marschtempo der schwächeren Glieder halten zu müssen. Die Schwächsten, das sind in diesem Fall die gering qualifizierten oder in überlaufenen Berufen ausgebildeten Arbeitnehmer. Auf ihnen lastet die Angst vor dem Arbeitslosenheer. Dank wachsenden Fachkräftemangels strotzen zugleich ihre spezialisierten Kollegen in den neuralgischen Funktionsbereichen der Unternehmen vor Selbstbewusstsein. Entsprechend stark kann deren Position im Tarifgeschäft werden. Zumal in einer Wirtschaft, die mehr und mehr zum arbeitsteiligen Netzwerk aus immer kleineren und stärker spezialisierten Betriebseinheiten umgebaut wird, die oft als eigenständige Firmen auftreten. Alte Platzhirsche schwächeln in neuer Umgebung Mit dieser Entwicklung hatten die auf große Belegschaften in großen, tarifgebundenen Betrieben bauenden DGB-Organisationen von Anfang an ihre liebe Not. Gerade in den neuartigen Wirtschaftsstrukturen schwächeln die Traditionsgewerkschaften heute erheblich. Ein Umstand, der die Arbeitgeberseite naturgemäß freut. Die Freude möchte indes schnell verrauchen, sollten die Verhältnisse bei Bahn oder Lufthansa sich ausbreiten. Denn wo mehrere Gewerkschaften im Wettbewerb um eine Belegschaft stehen, treibt das die Forderungen hoch und werden die Auseinandersetzungen schärfer. Wo mehrere Gewerkschaften womöglich zu verschiedenen Zeiten für spezifische Tarifverträge zugunsten ihrer jeweiligen Klientel kämpfen, wird das Tarifgeschäft zum verworrenen und wirtschaftsstörenden Dauerbrenner. So könnte demnächst mancher Manager sich nach dem zwar ärgerlichen, aber übersichtlichen wie kalkulierbaren Zwist mit dem ungeliebten einstigen Gewerkschaftsmonopolisten zurücksehnen. Auf der anderen Seite tobt derweil ein heftiger Kampf um diese Fragen: Bringt eine neue Vielfalt in der Gewerkschaftslandschaft mehr Schwung und Biss ins Ringen um Arbeitnehmerinteressen? Oder führt diese Entwicklung auf längere Sicht nicht bloß zu gruppen-egoistischer Entsolidarisierung und damit letztlich entkräftender Zersplitterung der Arbeitnehmervertretung? Andreas Pecht (Erstabdruck Woche 33 im August 2008) Analyse, Streiks bei Lufthansa und Bahn, Wandel in deutscher Gewerkschaftslandschaft |
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