Kritiken Theater | |||
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2008-03-31a Ballettkritik: | |
„Feuervogel“ als Hoffnungsträger im KZ Anthony Taylor choreografierte dem Theater Koblenz einen starken Ballettabend der Gegensätze |
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ape. Koblenz. So
viele Besucher gab es lange nicht bei einer Ballettpremiere am Theater
Koblenz, und derart stürmischen Beifall auch nicht. Die Zuseher
spürten: Die aus zwei Handlungsballetten bestehende Produktion „Daphnis
und Chloé / Der Feuervogel“ des 63-jährigen Anthony Taylor enthält
Qualitäten, wie sie für die Liga, in der diese Kompagnie spielt,
keineswegs alltäglich sind. |
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„Daphnis
und Chloe“ zur Musik von Ravel ist als fantastische Liebesverwicklung
in einem Meeresstrandbad der 1960er angelegt. In schön fließender
Leichtigkeit führt Ross McDermott als „unsichtbarer“ Gott Pan das
Mädchen Chloe in Jugend-Tändeleien zwischen Umkleidekabinen,
Meeresprospekt und Dünen ein. Dabei entfaltet Yolanda Bretones Borra im
roten Badeanzug in den führenden und hebenden Armen Pans
sinnlich-neckisches Furioso mit vielen auf dieser Bühne noch nicht
gesehenen Figuren. In Danny Whiley findet sie ihren Daphnis. Zwei Unschuldslämmer entdecken die Liebe: Er zwischen kraftvollen Sprüngen und rolliger Geniertheit, sie bei naivem Sexappeal auf flacher Sohle gelegentlich den fraulichen Ernst auf Spitze erprobend. Das sind Passagen voller Lebensfreude und Esprit. Deren ästhetische Höhe eine langatmige, inhaltsleere Traumsequenz mit drei Nixen sowie ein pittoresker Piratenüberfall (in den 1960ern!) eher konterkarieren. Das wären die einzigen Einschränkungen gegenüber einem Abend, der sonst klug durchdacht ist und von einer Innovationslust sprüht, die den Tänzern technisch und konditionell allerhand abverlangt. Bemerkenswert, wie der Chef das Corps einsetzt: Die großen Formationen werden aus sich ständig verändernden Fragmenten gebildet. Tänzerische Polyphonie, die bei „Daphnis und Chloe“ noch etwas unstet wirkt, sich im „Feuervogel“ aber zu präziser Mehrstimmigkeit verdichtet. Ein kleiner Geniestreich ist der Wandel des Bühnenbildes (Dirk Becker) vom wohl gewollt etwas kitschigen Strandbad zum düsteren Hof eines Konzentrationslagers. Die Umkleide mutiert zur neonkalt beleuchteten Baracke, der Wimpelmast zum Lagerlautsprecher, Bretterzäune sperren die Welt aus. Taylor interpretiert Stravinskys „Feuervogel“ als Parabel auf einen Hoffnungsschimmer, an den sich gequälte Menschen klammern. War der Böse im Spiel 1910 bei der Erstchoreografie von Michael Fokin noch ein Zauberer, so ist es hier der schwarz uniformierte Lagerkommandant (kalt, demonstrativ brutal: Michael Jeske). Der schmeißt einen leblosen, fast nackten Körper in den KZ-Hof – den die Häftlinge mit blutig geschundenen Händen zu neuem Leben erwecken: Feuervogel, Hoffnungsträger. Und wie vor ein paar Jahren im Falle der Irina Golovatskaja tritt mit Yao Yi Hsu aus dem Schatten der Kompagnie ein überraschendes Solistentalent hervor. Beeindruckend Präsenz und Ausstrahlung des jungen Mannes, der allein mit den konzentrierten Ausdrucksvarianten von Leib, Gliedern, Muskeln eine Titelfigur eindringlicher Dichte formt. Ertanzte Freiheits-Poesie, die von den Häftlingen begierig ergriffen wird: gebeugte Körper richten sich auf; schlurfender Schritt tastet sich zu schwingender Leichtigkeit vor; eine eben noch verängstigt gedrängte Masse öffnet sich für fließend variierende Formationen. Wo Hoffnung ist, ist Liebe. Charisse Kim Sing und Ross McDermott knüpfen vorsichtig zarte Bande. Die sind nicht von hitziger Lust, sondern von tröstenden Gesten, wärmenden Umarmungen – menschliche Größe auf Basis menschlicher Verletzlichkeit. Ein Sinnbild, dem diese bewegende Choreografie jedoch das Happy-end verweigert. Sonnenlicht bescheint den Bretterzaun die Liebenden und den sie behütenden Feuervogel. Doch die Sonne erlischt und mit ihr schwindet der Trost aus den Gesichtern der Menschen und das Leben aus dem Leib des Hoffnungsträgers. Andreas Pecht (Erstabdruck 1. April 2008) Theater Koblenz, Ballettkritik, Daphnis und Chloe, Feuervogel, Choreografie: Anthony Taylor |
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