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2007-12-19 Analyse: | |
Der Satire-Boom hält an Rückblick 2007: ZDF ließ "Neues aus der Anstalt" los - Kabarett und Comedy auf allen Kanälen zuhauf |
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ape.
Totgesagte leben länger. Als das ZDF 1980 den Kabarettisten Dieter
Hildebrandt mitsamt seinen „Notizen aus der Provinz“ in die
Zwangsdenkpause schickte, hörten viele das Totenglöckchen
für die politische Fernsehsatire läuten. Indes: Noch im
selben Jahr ging Hildebrandt bei der ARD mit dem
„Scheibenwischer“ auf Sendung. Als er 2003 seinen
Rückzug von diesem Flaggschiff des deutschen TV-Kabaretts
ankündigte, ging erneut Besorgnis um. Wieder Fehlanzeige. Nicht
nur, dass der „Scheibenwischer“ fortgesetzt wurde. Das ZDF
beendete bald darauf seine gut 25-jährige Kabarett-Abstinenz und
ließ am 23. Januar 2007 mit „Neues aus der Anstalt“
ein potentes Gegenstück zum
ARD-„Scheibenwischer“ vom Stapel laufen. Zwei gewichtige Kabarettformate zur Hauptsendezeit in den beiden Hauptprogrammen: Schon allein deshalb wurde, womit zuvor keiner gerechnet hatte, das Jahr 2007 zu einer neuen Blütephase der politischen Satire auf hiesigen Mattscheiben. Jonas, Richling und Rogler im Ersten versus Priol und Schramm im Zweiten: Wer spießt wo den politischen Zeitgeist und andere zeitgenössische Gespenster giftiger, pointierter, hintersinniger, frecher auf? Dem geneigten Publikum war die Verdoppelung des Angebots lieb, der spitzzüngige Wettbewerb zwischen beiden Fraktionen rasch teuer. Fortsetzung 2008 unbedingt erwünscht! Schon mehrfach prognostiziert war auch das baldige Ableben des weniger gedankenschweren jüngeren Geschwisterchen der Politsatire. Das in den 1970ern mit „Klimbim“ erstmals aufs deutsche Fernsehpublikum losgelassene Genre Comedy setzte im vergangenen Jahr mit einem neuen Höhenflug seinen Boom fort. Mehr noch: Ursprünglich als Kleinkunstsparte eher vor kleinem Publikum auf kleinen Bühnen daheim, ist die von doppelbödiger Kalauerei über lachhaften Blödsinn bis zu albernem Stumpfsinn reichende Satireform Comedy zum Massenphänomen aufgestiegen. Die mal feinsinnige und mal brachiale, mal mit Geschmäckern und mal mit Geschmacklosigkeiten spielende Veräppelung von Lebens- und Liebesformen, von Trends und Moden ist selbst Mode geworden. Comedyans wie Michael Mittermeier oder Ingo Appelt füllen, darin inzwischen Rockstars gleich, auch die größten Hallen mit ihren Comedy-Solos. Der pointenlose Dampfplauderer Mario Barth kündigte 2007 an, alsbald gar die Stadien der Olympiaklasse erobern zu wollen. Auch auf dem Bildschirm ist Comedy ein Massenphänomen. Die Zahl der Satiresendungen im Fernsehen hat 2007 das Niveau der Vorjahre locker gehalten, ja noch übertroffen. Die Zählung entlang einer Programmzeitung ergab für eine x-beliebige Woche im zurückliegenden Herbst: Allein die im Kabelnetz (Westerwald) vertretenen Sender boten zwischen 19 Uhr und kurz nach Mitternacht binnen einer Woche mehr als 60 Satiresendungen, von denen gut drei Viertel auf diverse Comedyformate, der Rest aufs politische Kabarett oder Mischformen entfielen. Klamauk-Spielfilme, Koch-Slapstick, Pannen-Sampler, Hausfrauen-Tauschbörsen oder Superstar-Novelas gar nicht mitgezählt. Frühere Bedenken, der Comedy-Boom könne zum Totengräber des Kabaretts werden, sind widerlegt. Denn trotz der deutlichen Überzahl der Comedy-Formate vor allem quer durch die Privatsender, fanden auch 2007, neben den beiden genannten Flaggschiffen bei ARD und ZDF, zahlreiche „ernsthafte“ Kabarettsendungen insbesondere in den Dritten Programmen und bei 3sat wieder ihre Sendeplätze und ihr Publikum – Tendenz steigend. Womit 2007 einmal mehr bewies: Je verrückter die Welt, umso mehr bedarf sie des Lachens. Was für die Satire eine lichte Zukunft verspricht – zumindest quantitativ. Über die Qualitäten ließe sich streiten, aber das ist ein anderes Thema. Andreas Pecht (Erstabdruck am 24. Dezember 2007) |
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