Kritiken Theater | |||
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
2007-11-05 Schauspielkritik: | |
Unerwartete Anziehungskräfte Reizende Bühnen-Adaption von Goethes "Wahlverwandtschaften" in Wiesbaden |
|
ape. Wiesbaden. Es
gibt seit einigen Jahren am Theater die Tendenz, Roman-Klassiker in
Szene zu setzen. Beispiele aus der Umgebung: Mainz versuchte sich
an Manns „Zauberberg“, Bonn an Prousts „Suche
nach der verlorenen Zeit“, Köln am
„Schimmelreiter“ von Storm. Im August arbeitete
sich das Schauspiel Frankfurt an den „Wahlverwandtschaften“
ab. Goethes dritter Roman von 1809 hat jetzt auch das Wiesbadener
Staatstheater inspiriert, wo schon 2003 mit Musils „Verwirrungen
des Zöglings Törless“ Literatur für die Bühne
gewonnen wurde. |
|
Goethes
großer Roman um zwei Frauen und zwei Männer, die sich gegen
alle Ehe-Räson jeweils ins falsche Gegenüber verlieben,
findet in Tobias Maternas Regie eine ganz reizende Theater-Adaption.
Anders als unlängst in Frankfurt, ist es in der Wiesbadener
Außenspielstätte Wartburg nicht bei bebilderter Roman-Lesung
geblieben, sondern ein neues Theaterstück entstanden. Ein
Kammerspiel, das mit genauem, aber fast liebevollem Blick und
unaufdringlichem Humor verqueren Anziehungskräften der Herzen
nachspürt. Die Bühne von Ariane Salzbrunn wird von übermannshohen Hecken umfasst. Mehr Kulisse ist nicht, auch nicht nötig. Gespielt wird auf, vor, hinter dem Grünzeug – verborgene Öffnungen ermöglichen manch überraschenden Auftritt. Erspielt wird die Näherung zwischen Otto und der mit Eduard verheirateten Charlotte sowie das Hineinschlittern des Gatten in eine Wahnsinnsliebe zur Nichte Ottilie. Das Allmähliche dieser Prozesse erspüren zu lassen, ist die herausragende Stärke der Inszenierung. Da deuten Tonfälle, Blicke, Gesten schon hin auf Zuneigungen, Sehnsüchte, Gefühlsumbrüche, noch bevor die Betroffenen selbst sich bewusst sind, was mit ihnen passiert. Der die Tragödie frühzeitig heraufziehen sieht, ist Diener Heinrich. Sebastian Muskalla macht aus dieser Figur ein Unikum, das alles sieht, keine Miene verzieht und in stoischer Schweigsamkeit doch jede Entwicklung vielsagend kommentiert. Als nächstem wird dem von Lebensschwere bedrückten Otto (Hans Jörg Krumpholz) seine Liebe zu Charlotte bewusst. Dann verfällt Eva-Maria Damaskos Ottilie in schüchtern-stille Hinwendung zu Eduard. Zuletzt erst begreift das Ehepaar, dass es ein Problem hat: Doreen Nixdorfs Charlotte kann ihren Leib nur mit Mühe von Otto fernhalten; erst recht ist sie zu schwach, den brünftig nach der Nichte gierenden Eduard von Michael Günther zur Ehe-Ordnung zu rufen. Der Übergang von spielerischer Liebelei zur existenziellen Tragödie ist in Wiesbaden fließend. Die Inszenierung verweigert mit ihrer nie ganz versiegenden humorigen Grundtönung letztlich auch den Todernst der Goetheschen Schlussphase. Was das Theater zwar vom Roman wegführt, aber mit der Bindung an Menschen des 20. Jahrhunderts schlüssig eigenständige Bedeutung behaupten lässt. Andreas Pecht (Erstabdruck 6. November 2007) |
Diesen Artikel weiterempfehlen | ![]() ![]() |
was ist Ihnen dieser Artikel und www.pecht.info wert? |
|
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |