Kritiken Musik | |||
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2007-10-06 Feature/Konzertkritik: | |
Überzeugender Auftakt der Jubiläumssaison beim Koblenzer Musik-Institut Dirigent Daniel Raiskin präsentiert eine Rheinische Philharmonie im fortschreitenden Reifeprozess |
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ape. Koblenz.
Abgesehen von der Live-Übertragung im Deutschlandfunk und dem
Mitschnitt des SWR zwecks späterer Ausstrahlung, ging der
Saisonauftakt 07/08 beim Musik-Institut Koblenz wie ein normales
Anrechtskonzert über die Bühne. Gut gefüllt mit
begeisterungswilligem Publikum die Rhein-Mosel-Halle, sehr gut
eingestellt die Rheinische Philharmonie unter Daniel Raiskin. Und
doch war es der Start in eine Spielzeit vor historischem
Horizont: 2008 feiert das Musik-Institut den 200. Jahrestag seiner
Gründung, einst von der französischen Präfektur des
Rhein-Mosel-Departements für den 7. April 1808 beurkundet. |
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Dass
dieser Methusalem unter den mittelrheinischen Kultureinrichtungen just
zum geschichtlichen Festjahr beherzt in die Jugendarbeit einsteigt,
zeugt von Weitblick. Neben acht Konzerten des Hausorchesters und einem
Auftritt des Beethovenorchesters Bonn bringt die neue Saison erstmals
auch ein Gastspiel des Bundesjugendorchesters. Dass junge Musiker auf
der Bühne nicht automatisch die dringliche Verjüngung des
Klassikpublikums zur Folge haben, zeigen Erfahrungen etwa aus dem
Kammermusikbereich. Dazu bedarf es mehr, weshalb Musik-Institut und
Rheinische Philharmonie jetzt offensiv die dauerhafte Zusammenarbeit
mit Koblenzer Gymnasien suchen. Mäßiges Musizieren in langweiliger Routine wäre freilich Garant fürs baldige Scheitern auch der bestgemeinten Nachwuchsinitiative. Insofern gibt das jetzige Konzert Anlass zu Optimismus. Denn Mittelmaß und altväterliche Betulichkeit liegen ihm fern. Wie hier Joseph Haydns Sinfonie „La Reine“ reich an humorigem Esprit musiziert wird, das versprüht nicht nur Schmunzeln machende Salon-Sinnlichkeit und -Verspieltheit, sondern erinnert zugleich einen bisweilen vergessenen Sachverhalt: Ein beträchtlicher Teil klassischer Kompositionen war von Hause als U-Musik gedacht, Unterhaltungsmusik. Dass uns dies Wort im Klassik-Kontext gallig aufstößt, liegt an der Flut inhaltlich wie musikalisch unendlich tumber Erzeugnisse der Volksmusik-, Schlager- und Popindustrie. Raiskin und sein Orchester belegen mit ihrem leichten und doch so präzisen Haydn-Spiel von der klassischen Seite her, dass künstlerisch wertvolle Unterhaltungsmusik möglich ist. Es gibt sie auch auf der zeitgenössisch-populären Seite, gewiss. Dort im medialen Dauerdudel aber die Qualitätsproduktionen zu finden, ist eine Kunst für sich. Das erste Anrechtskonzert bietet im Mittelteil einen Hingucker. Wann schon kann man ein Klavierkonzert erleben, bei dem der Solist nur mit einer Hand spielt, auch noch der linken. Benjamin Brittens zwölfteiliges „Diversions“ opus 21 wurde 1940 eigens dem Pianisten Paul Wittgenstein auf den kriegsversehrten Leib komponiert. Dessen pianistischen Part übernahm in Koblenz versiert wie inspiriert Steven Osborne. Gewaltige Sprünge, über etliche Oktaven stürzende Läufe – neben Musikalität und Fingerfertigkeit wird da schier sportiver Körpereinsatz verlangt. Britten zwischen wuchtigem Pathos und Seelenverlorenheit: So wie hier gespielt, erreicht Klassik des 20. Jahrhunderts auch auf Mozart und Beethoven fixierte Herzen. Schließlich die zweite Sinfonie von Johannes Brahms. Pars pro toto – nehmen wir eine Bewegung des Dirigenten und den davon geführten letzten Akkord des zweiten Satzes als Beispiel für die Fortschritte, die das Orchester derzeit unter Raiskin macht. Aus dem Fluss des Armes nach oben greift die offene Hand in den weiten Raum, um sich von dorther in einem weichen Gestus zu schließen. Ein Moment von allenfalls zwei Sekunden, sichtbar und genau so auch hörbar: Ein Abklang ohne Wanken und Zittern, ein Akkord, der aus der Fülle heraus weder erstirbt und noch verweht, sondern als makelloses Ganzes weich und zart verklingt. Es ist die zunehmende Verdichtung solcher „Koblenzer Kleinigkeiten“ zu einem Repertoire eigenständigen Ausdrucks, die der Beobachter als Entwicklungsprozess der Rheinischen wahrnimmt. Die Kehrseite besteht in der wachsenden Empfindlichkeit des Spiels für Augenblicke nachlassender Konzentration. Davon gab es jetzt nur wenige, und die hätte noch vor Jahresfrist kaum einer wahrgenommen. Inzwischen stolpert man sofort darüber. Das ist der Preis des Klassenaufstiegs. Andreas Pecht (Erstabdruck 9. Oktober 07) |
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