Kritiken Theater | |||
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2007-06-15 Schauspielkritik: | |
Herrlicher "Reigen" aus Lust und Frust Jung, frisch, frech und zum Niederknien gut: Schnitzler-Klassiker im Mainzer Zollhafen |
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ape. Mainz.
Schweißgebadet, alle: die sechs Darsteller und die 99
Zuseher bei der Premiere im Alten Weinlager des Mainzer Zollhafens. Die
dritte Etage haben die Stadtwerke dem Staatstheater jüngst als
Probebühne überlassen. Und selbiges spielt nun im
ausrangierten Lager zwischen rohen Wänden auf staubigem
Beton Arthur Schnitzlers „Reigen“ von 1920. Genauer: Junge
Leute spielen 90 Minuten mit den Beziehungskräften zwischen
Männlein und Weiblein – was irgendwie auch an den
„Reigen“ erinnert. |
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Drei
mal nur wird die Inszenierung an diesem Ort gezeigt, in dem hitzige
Schwüle brütet. Die Vorstellungen waren stracks ausverkauft.
Nach der Sommerpause geht das Stück wohl auf die kleine
TiC-Bühne des Theaters, weil das Weinlager der Kosten wegen
Probebühne bleiben und nicht Spielstätte werden soll. Die
Aufführungen im Zollhafen seien einmalige Ausnahme zum 120.
Hafengeburtstag. Heißt es. Verständlich, aber schade
für die Inszenierung, deren Reiz auch mit der suburbanen Patina
der Örtlichkeit zu tun hat. Schnitzlers Werk besteht aus zehn Episoden über das Vorher, Nachher, Drumherum des Sexualaktes unter diversen sozialen und psychologischen Bedingungen. Regisseur Andreas Rößler bleibt bei dieser Struktur und beim Sinn des Originals: Eros zwischen gierigem Zugreifen und genierlichem Zurückschrecken. Fabelhaft wird Schnitzlers Melange aus Schmunzeln über unentschlossene Entschlossenheit und der hinter jeder Liebelei lauernden Tristesse aufgegriffen. Und das, obwohl bei Rößler Stücktext in der Urform nur spärlich vorkommt. Gestrichen, umgesponnen, hinzugefügt: Gesprochen wird viel, wie man heute so spricht, gefreit und geliebt ebenso; wo nicht, greifen reizende Persiflage- und Satireelemente. Zehn Episoden sind hier zehn Runden in einem sportiven Wettstreit. Der wird ausgetragen von diversen Paarungen in schwarzen Unterkleidern nebst charakterisierenden roten Applikationen wie Krawatte, Strumpfband, Roben-Handschuhen oder Künstlerschal (Ausstattung: Carolin Rode). Die Runden werden eingeläutet, dazwischen gibt´s kühlendes Wassergesprüh und Frischluftgewedel – ins Gesicht der Zuschauer. Boxveranstaltung in alter Fabrikhalle klingt da an. Die Körperintensität des Spiels entspricht dem: Katja Hirsch, Katharina Knap und Julia Kreusch, Joachim Mäder, Lorenz Klee und Zlatko Maltar umtänzeln, umsurren, umgurren einander, dass es eine Lust ist. „Verdammt ich lieb dich, ich lieb dich nicht“, der olle Pop-Ohrwurm von Matthias Reim mutiert im tiefen Spielraum des Weinlagers zum Leitmotiv des Abends und zu einer herrlich lakonischen Revuenummer. „Reigen“ in Mainz, das ist junges, frisches, freches Theater. Ein Theater aber auch, dessen entzückende Leichtigkeit aus filigran gewobener Schauspielkunst von hohen Graden erwächst. Sprache, Gestik, Mimik, Bewegung verdichten sich zu genauen Ambivalenzen kleiner Charakter- und Situationsstudien zwischen Liebessucht und Liebesfrust, Lebenslust und Lebenslüge. Eine Perle der auslaufenden Schauspielsaison nicht nur für Mainz. Andreas Pecht |
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